Die falsche Frau
Ungewöhnliches. Warum sollte sie ihn jetzt stören?
»Beeilst du dich?«, fragte Karlich.
»Mein Wagen ist kaputt. Ich muss ein Taxi nehmen.«
»Nein, nicht nötig, einer meiner Leute wird dich abholen.«
»In Ordnung, bis gleich.«
Sarah Rosen kritzelte für Georg eine Nachricht und lief die Treppen hinunter. Wahrscheinlich war er mit irgendeiner Kammermusik im Ohr, verkabelt und verstöpselt, in seinem Musikzimmer eingeschlafen.
Unter einer flackernden Straßenlaterne huschte eine winzige Gestalt vorbei.
Ein Kind? Um diese Zeit?
»Oh, Gott«, stöhnte Sarah.
Hoffentlich keine Familientragödie!
»Hallo!«
Sarah Rosen zuckte zusammen.
»Hallo«, sagte sie und schlug in eine wärmende Hand ein.
Semir Aydin, ein Ermittler der Mordkommission, hatte sich dicht vor sie gestellt.
»Haben Sie mich nicht kommen gehört?«
»Nein.«
»Schon geschlafen?«, fragte Semir weiter.
»Ja, aber sehr schlecht.«
»Dieser Job hier«, er machte eine Handbewegung die danach aussah, als wollte er etwas wegwischen, »dieser Job hier ist harter Tobak für ‘ne Lady wie Sie. Da muss man ziemlich wach sein.«
Sarah bemerkte, dass die übertriebene Freundlichkeit, die in seinem Ton lag, gespielt war.
Mit einer Therapeutin zusammenzuarbeiten, noch dazu mit einer Frau, schien Semir Probleme zu machen. Vielleicht peitschte er deshalb das Auto wie blöd durch die Straßen und stieg härter als notwendig auf die Bremse. Oder er mochte sie ganz einfach nicht.
»Sie werden sich an mich gewöhnen müssen«, sagte Sarah Rosen. » Und soviel ich weiß sind Sie einer der Besten im Morddezernat!«
»Was Sie nicht sagen, Frau Doktor. Sie werden sich auch an mich gewöhnen müssen.«
Sarah Rosen lächelte, klopfte mit der Hand auf das Handschuhfach und sah nach draußen.
»Kann ich das Fenster öffnen?«
Die Heizung lief auf Volltouren. Das warme Gebläse war unerträglich.
»Meinetwegen«, sagte der Mann herablassend. Von dem Moment an wechselten sie kein einziges Wort mehr. Nur der Luftzug, der durch einen winzigen Spalt in das Innere des Wagens zog, streifte kalt ihre Gesichter.
»Mistwetter«, murmelte Sarah, als sie vor dem Burgtheater hielten, und schlug sich ihren weißen Schal um den Kopf. »Nicht gerade günstig für die Spurensicherung.«
Semir hatte sie schon nicht mehr gehört.
»Warten Sie doch!«
Sarah machte vorsichtige Schritte über das rutschige Pflaster. Der Sturm hatte Äste zu Boden geschlagen. Das schwach beleuchtete Theater, ein großer schläfriger Löwe, der noch wenige Stunden zuvor das Premierenpublikum geschluckt hatte, gähnte in den Park hinüber. Sarah stieß das Eisenportal zum Volksgarten auf.
Den Theseustempel konnte man noch nicht sehen.
Die Polizei hatte das Gelände mit leuchtenden Strichen markiert, die Säulen des Theseustempels, von den Taschenlampen der Beamten in gespenstisches Licht getaucht, wirkten wie Kulissen. Ein Arzt hockte neben der Leiche. Einer der Beamten machte Fotos.
»Da bist du ja endlich«, sagte Bruno. »Ich möchte, dass du die Koordinaten als Erste abgehst.«
Dann beugte er sich routinemäßig über das Gesicht der Toten. Das Blitzlicht zuckte über ihre unversehrten Züge.
»Grüne Augen, rotblondes, halblanges Haar, sorgfältig lila geschminkte Lippen, dazwischen diese rote Rose«, sagte er. »Hier!«
Fast hätte er Sarah die Blume in die Hand gedrückt, die von der Kälte einen weißen Rand bekommen hatte, dann wandte er sich ab und übergab sie Semir, der kopfschüttelnd dastand und eine kaum angerauchte Zigarette auf den Boden warf.
»Einpacken!«
Semir nickte nur.
»Eine ganz gewöhnliche Baccara«, sagte Rosen. »Nichts besonderes.«
Das erste, was sie über operative Fallanalyse gelernt hatte, war, sich auf die Fakten zu konzentrieren, dann erst auf ihre Emotionen und Assoziationen, die oft schneller kamen als ihr lieb war.
Wollte ihr Marc Sartorius nicht gestern Abend genau so eine Rose schenken?
Der Kommissar musterte seine Freundin mit hochgezogenen Augenbrauen. Sarah sah aus, als wollte sie ausgehen mit ihrem auf Taille geschnittenem, überlangen Fischgrätmantel. Zu auffällig nobel, fast unanständig nobel für eine Nacht wie diese.
»Sarah?«
Sarah Rosen schien nichts zu hören. Sie fühlte keine fragenden Blicke, auch keine Berührung und reagierte selbst dann nicht, als sie Karlich am Ärmel zupfte.
Sie kannte die Tote nicht, aber einen Augenblick überlegte sie, ob sie sich nicht doch schon einmal begegnet waren. Es musste sehr
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