Die falsche Frau
abwartete, so wie es sich für einen Kavalier alter Schule gehörte.
»Fang doch an, Bruno, das Essen wird kalt«, sagte sie. »Bitte!«
Sarah Rosen reichte ihm das Besteck, das in einer weißen Serviette zusammengerollt auf einem Teller lag. Bruno fächelte sich den Duft seines Gerichtes zu, bevor er sich zögerlich mit der Gabel am äußersten Rand der Pestosoße zu schaffen machte und die Gabelspitzen vorsichtig ableckte.
»Ich dachte, du wolltest mit mir ganz privat plaudern, mich ein bisschen ausfragen nach meinem Leben, nach Georg oder wenigstens danach, wie es mir geht?«, sagte Sarah und fingerte an ihrer Halskette.
Bruno Karlich sah nicht auf und war mit dem Fisch beschäftigt, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt als Fisch.
»Erzähl mir mehr von dieser Patientin«, sagte er. »Hältst du es für möglich, dass einer deiner Klienten in den Fall verstrickt ist?«
Sarah Rosen lief ein Schauer über den Rücken.
»Du glaubst tatsächlich, dass einer von denen straffällig wird? Unter meinen Fittichen? Das ist nicht dein Ernst, Bruno.«
»Wir haben es hier mit einer Reihe von seltsamen Indizien zu tun. Stell dir vor«, sagte er, »heute ist eine Frau aufs Präsidium gekommen und hat ein umfassendes Geständnis abgelegt. Eine gewisse Patrizia Heral, hübsche junge Frau. Machte aber einen ziemlich gefassten Eindruck. Sie sagte, dass sie bei dir in Behandlung ist.«
Sarah Rosen war der Appetit vergangen. Erschrocken schob sie den Teller beiseite, der inzwischen wie von Geisterhand vor sie hingestellt worden war.
»Wer?«, fragte sie.
»Patrizia Heral. Eine Sopranistin. Sie sagte, dass sich Irene Orlinger als angebliche Opernliebhaberin in ihr Vertrauen eingeschlichen habe. Die beiden seien Freundinnen geworden. Sie hätte durch Zufall erfahren, dass Irene nicht, wie sie behauptete, eine BWL-Studentin, sondern eine Prostituierte sei und habe sie zur Rede gestellt. Dann sei es zu einem Streit gekommen, in dem sie Irene an die Gurgel ging. Die Frau sei im Eifer des Gefechts gestürzt und mit dem Kopf auf die Stufen des Theseustempels gefallen. Angeblich soll sie Irene Orlinger sogar wie sich selbst geschminkt haben, eine perfekte Kopie der Antonia, sagte Frau Heral. Wie sie und Irene allerdings in den Morgenstunden in den verschlossenen Volksgarten gekommen waren, und ob sie Irene vor oder nach ihrem Tod geschminkt habe, konnte sie nicht erklären. Sie konnte sich auch nicht daran erinnern, ob sie den Arzt oder die Polizei gerufen hätte oder beides. Das alles sei wie in einem bösen Traum gewesen. Und sie nannte auch einen Fachausdruck. Warte«, sagte Karlich und kratzte sich am Kopf.
»Amnesie«, sagte sie.
»Ja, sie sagte Amnesie, darunter würde sie öfter leiden. Amnesie. Das ist doch so was wie ‘n Blackout, oder?«
Sarah nickte stumm.
»Patrizia Heral ist meine Patientin«, sagte sie fassungslos.
Hatte sie etwa eine schleichende Krise übersehen, einen psychotischen Schub?
»Alles, was diese Patientin in der letzten Sitzung gesagt und fantasiert hat, war auf meine Person gerichtet«, erklärte Rosen. »Sie war darauf aus, mir ihre ganze Wut zu zeigen, sogar ihr Begehren. Ich hielt das für ein positives Zeichen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass sie eine starke erotische Übertragung aufgibt und dann verrückte Dinge tut.«
Eigentlich hatte Sarah das alles nur gesagt, um sich selbst zu beruhigen, aber insgeheim fragte sie sich: Was, wenn Patrizia doch in diesen Mord verwickelt ist?
Bruno tupfte sich mit einer gestärkten Serviette den Mund ab.
»Ich wusste gar nicht, dass auf dich …« Bruno legte eine lange Pause ein. Das Thema war ihm sichtlich peinlich. »Ich wusste gar nicht, dass auf dich auch Frauen stehen.«
Dann wurde er wieder ernst und sprach in diesem eintönigen Ermittlerton, mit dem er Sarah ebenso auf den Wecker fiel wie sie ihm, wenn sie sich hinter Fachausdrücken versteckte.
»Gab es denn irgendwelche Hinweise, die darauf hindeuteten, dass sich diese Frau an dir rächen wollte? Überleg mal.«
Sarah Rosen schossen wilde Gedanken durch den Kopf. Patrizia, die sie verführen wollte. Patrizia, die nicht bekam, was sie wollte. Vielleicht inszenierte sie deshalb diese Geschichte und war zur Polizei gegangen. Sie hatte also ein Geständnis gemacht, um sie in Verruf zu bringen?
»Ist ja ein ziemlich schmerzhafter Prozess auf der Couch«, sagte Bruno und tunkte die letzten Reste seines Pestos auf.
Der Teller stand blankgeputzt vor ihm.
Ein paar Sekunden lang
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