Die falsche Frau
Staatsoper.
Sarah Rosen war spät dran.
Sie hatte sich etliche Male umgezogen, Rock gegen Hose, Bluse gegen Pullover getauscht und sich dann doch für eine dunkelbraune Lederkombination entschieden, zu der sie Perlenschmuck und sündteure Stiefel trug, denn sie wusste, dass Bruno einen Sinn für weibliche Eleganz hatte.
Endlich am Schwarzenbergplatz angekommen, stieg Sarah aus und schlängelte sich an Straßenschranken und Umleitungsschildern einer Baustelle vorbei.
Atemlos erreichte sie das Restaurant.
Bruno stand vor einer Vitrine und studierte verschiedenste Vorspeisen: eingelegte Artischocken, Tartar von Thunfisch, Jakobsmuscheln. Als er Sarah bemerkte, drehte er sich mit einem verschmitzen Lächeln um, hauchte einen Kuss über ihren Handrücken und führte sie zum Tisch.
»Ich hoffe, dass dir die schöne Leiche im Park nicht den Appetit verdorben hat.«
Sarah schüttelte den Kopf. »Im Gegenteil, ich hab wahnsinnigen Hunger.«
Die Bedienung, die die Spezialitäten des Tages im Kopf hatte und beim Aufzählen der Speisen jedes einzelne Gericht in ihrer Zubereitung beschreiben wollte, kam nicht weit.
»Für mich gegrillten Lachs, bitte«, sagte Bruno. »Und wenn möglich rasch.«
Sarah bestellte Risotto mit frischen Champignons.
Wie ungeduldig Bruno immer war. Einen Zug, den sie auch an sich selbst feststellte und der sie deshalb um so ungnädiger machte.
»Kann dir wohl wieder mal nicht schnell genug gehen«, sagte sie und hörte sich selbst in einem vorwurfsvollen Ton reden. »Tut mir Leid, dass ich mich verspätet habe«, fügte sie schnell hinzu.
Bruno lächelte.
»Ich bin auch gerade erst gekommen. Hättest du auf mich warten müssen, wäre das natürlich unverzeihlich gewesen.«
Trotz ihrer Zuneigung zu Bruno, den sie besonders wegen seiner Leidenschaft für Literatur und Musik schätzte, wollte sie seinem Werben nie nachgeben. Sarah hatte ihn auf Distanz gehalten und Bruno vor den Kopf gestoßen.
Solange Sarah zurückdenken konnte, wollte er nie mit einer Frau zusammenleben und fand jedes Mal Gründe, eheähnlichen Verbindungen auszuweichen.
Manchmal traf sie ihn allein in einer Bar vor einem Glas Martini oder im Konzerthaus, vorwiegend, wenn Sinfonien von Gustav Mahler auf dem Programm standen. Immer ohne Begleitung. Ihr war aufgefallen, dass er kaum von Frauen sprach, und sie wollte auch nie nachbohren, nicht bei Bruno.
»Sarah, ich möchte, dass du dir für ein paar Tage freinimmst«, sagte er ernst. »Glaubst du, dass du das einrichten kannst?«
Überrascht über diesen Vorschlag, schüttelte sie den Kopf.
»Unmöglich, was soll ich denn den Patienten sagen? Die rechnen mit mir, mit jeder Stunde, manche kommen fast jeden Tag.«
Sarah dachte an Marc Sartorius, der sie dreimal in der Woche aufsuchte, meistens in der Mittagspause oder nach einer Stunde mit einem der Mädchen im Hotel Orient.
»Das Morddezernat würde dir natürlich den Ausfall der Stunden honorieren. Was nimmst du eigentlich?«
»Hundert Euro pro Sitzung«, sagte Sarah, »aber das hängt natürlich immer von den Einkommensverhältnissen der Patienten ab. Wer wenig verdient, zahlt auch weniger. Und wer nicht nur einmal, sondern mehrmals pro Woche Therapie macht, zahlt dementsprechend eine Pauschale. Da ist die Einzelstunde dann wesentlich billiger.«
Bruno nickte versonnen. Er schien mit seinen Gedanken ganz woanders zu sein.
Die Bedienung war inzwischen mit einer Flasche Wein gekommen und schenkte zwei Gläser Bordeaux ein.
Sarah beobachtete, wie sich Brunos Stirn in Falten legte. Also doch kein ganz privates Treffen, wie sie zuerst angenommen hatte.
»Du musst den Kopf frei haben, für diesen Mordfall«, sagte er. »Nur diese Woche, Sarah. Ich brauch dich.«
»Also gut«, sagte sie. »Ausnahmsweise. Allerdings mache ich mir Sorgen um eine Patientin, die heute nicht gekommen ist und die auch keine Nachricht hinterlassen hat. Ich weiß nur, dass sie heute Abend Premiere mit Hoffmanns Erzählungen hat. Sie singt die Antonia. Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, war sie ziemlich wütend auf mich.«
»Gehen wir in die Vorstellung«, sagte Karlich. »Dann wirst du ja sehen. Oder ruf sie einfach an.«
»Genau das werde ich tun«, sagte Sarah.
Die Kellnerin hatte inzwischen einen Teller mit leuchtendem Lachs, umgeben von einer grünen Soße, die nach frischen Kräutern duftete, vor Bruno gestellt. Sarah, die noch auf ihr Gericht wartete, sah, dass er am liebsten schon mit dem Essen begonnen hätte, aber
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