Die falsche Frau
nachher an der Hose ab. »In genau zwanzig Minuten hol ich dich ab.«
François nickte. Mit langen Schritten lief er zum Schiff.
Die Musik hatte aufgehört.
Von einem Wachmann in Uniform, der ein großes Notizbuch vor sich liegen hatte, ließ sich François eintragen und ging über einen schmalen Steg. Eine Schiebetür ging auf. Er war an Bord.
Über einem durchsichtigen, großen, dunklen Fleck blieb François stehen. Da war ein Bullauge im Fußboden. Durch das Bullauge sah er das schwarze Wasser. Einen Augenblick lang zog es ihn in die Tiefe, in dieses tiefe, gläserne Loch.
Was, wenn die Sache eine Haken hatte? Wenn die Froschmänner den Stoff nicht losbekamen, und nicht Zlatko, sondern irgendein anderer das Schiff steuerte? Was, wenn die Polizei ihren Plan geändert hatte?
François fühlte Druck auf der Brust, doch dann, dann war er über die Schwelle, und die Angst war einer Aufregung gewichen, die ihn wieder antrieb.
François stand vor dem Geländer einer schmalen Stiege, schwach beleuchtet von orangefarbenen Spots. Er nahm die erste Stufe, zögerte noch, nahm die zweite, und lief den Rest zügig nach oben.
An Deck stolperte er über eine Coladose. Vor Schreck blieb er stehen. Wie schwarz das Wasser an den Ufern war, dachte er, als ob die Nacht Leichentücher ausgebreitet hätte. Überall dunkle, graue Flächen, die im milchigen Licht zerflossen.
Es war eisig.
François rieb sich die Hände.
Früher hatte er mit stumpfsinniger Sicherheit sein Leben riskiert, und jetzt?
Weiter, dachte er, einfach weiter. Unmittelbar vor seinen Augen eine einsame Decklampe, die meterlang in die Nacht ragte. Eine Ankerwinde, eine Luke. Feuerlöschhähne, Rettungsgeräte.
Von irgendwoher schlurfende Schritte, dann Worte, die aus einem Mikrophon kamen, gebrochenes Englisch. Das Geräusch einer zuklappenden Tür, gefolgt von Stille.
In einem verglasten Kasten erkannte er eine Gestalt, die ihm halb den Rücken zukehrte. Der Kapitän in seinem Führerhäuschen.
Hatte er ihn denn nicht kommen gehört?
Der Mann telefonierte. François räusperte sich.
»Zlatko?«
Sein Herz setzte einen Schlag aus.
»Zla …!«
Endlich drehte sich der Mann um. Seine Haut war blass, die Lippen aufgesprungen.
François ging näher. Der Kapitän nickte, runzelte die Stirn und drückte zwei rote Knöpfe auf einer Tastatur, die in der Dunkelheit wie aus dem Nichts zu kommen schienen.
»Never seen you before«, sagte er widerwillig und mit stark kroatischem Akzent. Dann gab er ihm ein Zeichen, noch näher zu kommen. Der Mann trug Jeans und ein eng anliegendes Sweatshirt, das erheblich zu kurz war. Geheimratsecken, untersetzt.
François nannte ihm seinen Namen.
Zlatko starrte auf die Instrumentenpaneele, das Funkpeilsystem, das Wasser. Dann atmete er laut aus.
»Okay?«, fragte François.
Sein Mund war trocken. Er wartete, dass der Typ endlich den Mund aufmachte. Aber nichts. Nur zwei Augen, die ihn wie blöde anstarrten, und das sanfte Heben und Senken des Schiffes unter ihm.
War der Typ schwer von Begriff?
»Operation Dimitri«, murmelte François.
Und dann noch mal. »Operation Dimitri.«
»Thank you«, sagte der Mann endlich.
Seine Stimme klang hart wie Granit.
Wortlos zückte er ein Mobiltelefon und gab eine Nummer ein.
François schnappte ein paar Brocken Kroatisch auf, dann wieder gebrochenes Englisch. Anscheinend redete er abwechselnd mit der Polizei und seinen eigenen Leuten.
Plötzlich drückte ihm Zlatko das Mobiltelefon ans Ohr. Eine männliche Stimme gab ihm durch, dass er den Stoff Backbord entgegennehmen sollte.
Wenig später stand François an der Reling. Eisregen stichelte in seinem Gesicht. Er sog den Geruch von Öl ein. Zwei, drei Minuten stand er so, hatte aber das Gefühl, eine Ewigkeit so zu stehen.
Plötzlich Flossenschläge.
Taucher wühlten das Wasser wie ein Schwarm Fische auf. François sah runter, beugte sich, streckte seine Hände aus. Taucher in Neoprenanzügen. Ihre Arme wirkten wie tintenblaue Krakenarme. Sie reichten ihm wortlos die Ware. Eingeschweißte Blöcke, die er so schnell er konnte in Jacken- und Hosentaschen verschwinden ließ. Dann nur noch das leise Plätschern des aufgewühlten Hafenwassers. Die Krakenarme waren wieder verschwunden.
François blickte hoch in den Regen.
Alles in ihm drehte sich. Den Stoff in seinen Taschen spürte er kaum. Von Ferne ein leiser Pfiff. François drehte sich um und lief zur Stiege zurück. Sicher Katzan. Lautlos rannte er runter an Deck
Weitere Kostenlose Bücher