Die falsche Frau
Rosen?«
Seine Stimme klang weich. Anfangs betrachtete er sie traumverloren, als ob es ihn schmerzte, sie zu sehen. Dann blieb er mit seinen Blicken an ihren Fesseln hängen. So hatte er sie zuletzt im Krankenhaus angesehen. Am liebsten hätte sie sich an die Wand gelehnt und vor Lust das Kleid höher geschoben, nur ein kleines Stück höher. Mit klopfenden Schläfen hob sie stattdessen nur langsam ihr Kinn, fing seinen Blick auf und begann ihn zu führen. Das erste Mal, dass sie nicht wusste, wohin sie dieses unbekannte Gefühl brachte. Auch wenn sie sich gewünscht hatte, von ihm begehrt zu werden, hatte sie ein Begehren so, wie sie da stand, leicht angetrunken und verwirrt, für unmöglich gehalten.
Sie sah nach unten, und dieser Mann da blieb wie gebannt an ihren Fesseln hängen. Sie nahm ihre Hände, umklammerte ihre Knie, ließ wieder los, strich sich über die Oberschenkel und seine Augen wanderten mit. Sie schummelten sich zwischen ihre Beine, die sich während einer Drehbewegung mit leisem Knistern zu öffnen begannen.
Eine Welle durchfuhr ihren Unterleib, unter der sie sieben lange Blicke zählte, die er ihr von unten nach oben zuwarf, ohne die Kraft, auch nur ein einziges Wort an sie zu richten.
Ein Tier im Käfig. Hilflos. Verstört.
Dass er nichts sagen konnte, stachelte sie noch mehr an. Sie machte einen winzigen Schritt in seine Richtung. Irgendwann musste er sich leise räuspern. Da fiel sie aus ihrem Traum. Sie unterstellte ihm Lüsternheit und Verklemmtheit gleichzeitig, betrachtete seine tiefliegenden Augen, aus denen unerfüllbare Wünsche sprachen, die sie auf Feinheiten seiner Person aufmerksam werden ließen. Sensibilität, vielleicht Melancholie. Oder war sie es selbst, die so empfand? In einem Moment der Unmöglichkeit, ausgerechnet hier, an diesem Ort?
François Satek, ein Mörder?
Wie der Mann zitterte. Alles in ihm flehte nach Erlösung. Er öffnete die Lippen und schloss sie wieder. Dann senkte er die Augen, nahm die Decke, hüllte sich darin ein und führte schließlich langsam eine Hand vors Gesicht, als würde ihn die Sonne blenden.
Sarah Rosen tastete nach ihrer Brille.
Gab es noch blinde Flecken auf ihrer Seele?
Sarah Rosen hielt Abstand, sofern das eine Zelle von acht Quadratmetern überhaupt zuließ, und stand immer noch stumm da. Sie wollte nicht sprechen, sondern warten, bis er sprechen würde und fühlte, wie sich zwischen ihnen unsichtbare Fäden spannen, die immer dichter wurden. Ein Netz, in dem nicht mehr er, sondern sie die Gefangene war. Es war erregend. Aber auch irgendwie komisch.
François, ein Killer in Unterhose.
Sarah flammte von Neuem auf, als er sie flehend bat, den Mantel auszuziehen. Seine Finger legten sich um ihren Hals. Einen Moment lang fantasierte sie einen Würgegriff. Dann öffnete er den Knopf ihres Mantels. Sie roch seinen Atem, am liebsten hätte sie sich an ihn geschmiegt, ihn geküsst und sich von ihm bis auf die Haut ausziehen lassen.
Stattdessen blieb sie stocksteif stehen, und François wandte sich ruckartig ab.
»Ich bin unschuldig«, sagte er.
Sie hatte noch nicht begriffen.
»Ich hab den Typen hier den Kamin gemacht«, sagte François laut, drehte sich zur Tür und wies auf die Luke.
»Den Kamin gemacht?«, fragte Rosen.
»Hab ‘ne Panikattacke simuliert. Und dieser Schließmuskel da, der uns gerade durch das Loch beobachtet, der hat Sie gerufen.«
Sarah Rosen ging langsam auf und ab. Sie wusste, dass der Moment, den sie ersehnt hatte, vorbei war.
François wurde rasend. »Ich muss hier raus«, rief er und spuckte gegen die Kacheln. Sein Saft lief langsam runter.
Von einer Sekunde zur nächsten beruhigte er sich wieder und lag kauernd auf der Matratze. Ein Bündel Elend. Zwischen Fluchen und Jammern erzählte er, was passiert war, und redete über seine Verhaftung und dass man ihn mit zwei Kilo Heroin geschnappt hatte.
»Sie haben tatsächlich geglaubt, dass Sie als V-Mann angeheuert werden? Ohne vorherige Anhörung oder Termine?«, fragte Sarah Rosen.
»Das war Katzans Idee.«
»Und wo ist dieser Katzan jetzt?«
»Keine Ahnung«, sagte er.
»Sie müssen mir von Ihrer Begegnung mit Irene Orlinger erzählen«, sagte sie zaghaft, als wäre diese Frage ein Fauxpas, ein Eingriff in seine Intimsphäre. Und tatsächlich war es mehr als berufliches Interesse, das sie zu dieser Frage trieb. Sie war eifersüchtig. Sie wollte sich vergleichen. Mit einer Prostituierten. Mit einer, die es für Geld machte. Wie sie selbst. Bezahlte
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