Die falsche Frau
sie irgendwas von einem Kunden gesagt, war sie in Eile? Wollte sie dich loswerden?«
»Nein!«
»Und warum bist du nicht geblieben?«
»Keine Lust«, sagte er. »Ich wollte nicht. Ich hau meistens ab hinterher.«
»Ich denk sie hat dich weggeschickt.«
»Ja doch.«
»Also gut, nehmen wir mal an, Irene Orlinger kannte den Täter. Ein Bekannter, der nachts bei ihr aufgekreuzt war.«
François massierte jetzt seine Handgelenke, die vom Druck der Handschellen immer noch geschwollen waren.
»Ich geh ihm an die Gurgel«, sagte er.
»Das wirst du nicht tun«, sagte sie schroff.
»Der Mörder muss also irgendwie in ihre Wohnung gekommen sein und ihre Kleider geschnappt haben.«
»Vielleicht wollte jemand den Verdacht auf dich lenken«, sagte sie. »Ist dir jemand aufgefallen im Hotel Orient? Jemand, der dich identifizieren konnte?«
»Du stellst vielleicht Fragen. Da waren viele Leute. Standen rum wie beim Unfall.«
»In Ordnung«, sagte Sarah Rosen. »Ach ja, eins noch. Kannst du dich an ihr Make-up erinnern?«
»Make-up?« François sah verdutzt aus. »Weiß nicht, aber ich hab ihr den Lippenstift abgewischt.«
»Verstehe«, sagte Sarah Rosen. »Dann muss sie jemand nachträglich geschminkt haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie zum Joggen noch mal Lippenstift aufträgt. Belassen wir es dabei. Ich werde dafür sorgen, dass du diese Aussage, die du jetzt gemacht hast, ordentlich zu Protokoll geben kannst.«
Dann nahm Sarah ihre Brille ab, steckte sie in die Manteltasche und verließ die Zelle.
Draußen schluckte sie eine Ladung Wind, der graue Schlieren auf den Himmel malte und aussah wie ausgelaufene Tusche.
Sie musste handeln. In ein paar Stunden würde es hell sein.
François war kein Frauenmörder, dachte sie, höchstens einer, der zu viel wusste. Nur was? Was hatte die Drogengeschichte mit Irene Orlinger zu tun? Die Polizei machte es sich zu einfach, da war sie sicher. Andererseits war François mit einem Kilo Heroin geschnappt worden.
Noch im Taxi, das vor dem Gefängnis gewartet hatte, wählte sie Brunos Nummer. Bruno klang ausgeruht. Wahrscheinlich war er gar nicht erst schlafen gegangen.
»Ich glaube, ich habe ein ziemlich genaues Bild von François Satek«, sagte Sarah.
»Was? Du warst im Gefängnis?«
»Ja, ein Wärter hat mich verständigt. Satek hat einen Panikanfall simuliert. Er hatte meine Visitenkarte.«
Karlich lachte. »Wie das? Von Satek persönlich?«
Noch bevor Karlich weitere Fragen stellen konnte, war Sarah dabei, François zu verteidigen.
»Satek ist einer, der seltsamerweise an Gerechtigkeit glaubt. Er wollte V-Mann bei euch werden, war ziemlich aufgebracht, weil er dachte, dass die Polizei hinter ihm steht. Wusstest du das?«
»Das hör ich zum ersten Mal«, sagte Karlich. »Bei uns wollte er keine Angaben zur Sache machen. Ich wusste zwar, dass Schmidt Leute aus der Szene rekrutiert, um mit seiner Arbeit besser voranzukommen, aber gerade diesen Satek?«
»Wieso nicht?«
In der Leitung knarrte es. Das Taxi war in ein Funkloch gefahren.
Sarah drückte auf Wahlwiederholung. Besetzt. Wahrscheinlich probierte Bruno, sie anzurufen.
Kurz vor der Staatsoper konnten sie ihr Gespräch wieder aufnehmen. »Lass noch mal den Tatort absuchen«, sagte Sarah. Sie war sicher, dass sie jetzt allein ihrer Intuition folgen musste. »Und denk daran, Irene Orlinger muss entweder vor oder nach der Tat umgezogen und neu geschminkt worden sein. Vielleicht ist da noch was.«
16
V ERA WAR DIE GANZE N ACHT T AXI GEFAHREN und ziemlich erledigt. Was sollte sie von François halten? Ein Hilferuf? Aus einem Gefängnis?
Er war zufällig ihr Nachbar, wieso sollte sie sich in eine Geschichte ziehen lassen, die sie nichts anging? Sollte sie oder sollte sie nicht? Natürlich hatte sie sich den Kerl vor dem Orient gemerkt, und ein paar journalistische Recherchen wären ja nicht das Problem, aber er hatte sie einfach stehen gelassen, und sie wollte natürlich nicht nach seiner Pfeife tanzen, andererseits war es dazu gar nicht erst gekommen.
Vera streckte die Zunge heraus und schluckte Schnee.
Nicht mehr eine Sekunde lang hatte sie vor, mit ihm zu schlafen, obwohl sie anfangs an nichts anderes denken konnte. Scheiße, der Typ war nicht normal. Und schon sah sie sich als Leiche in einem blutroten Wasser schwimmen, umgeben von Seerosen und wilden Grünpflanzen, die Hände gefaltet.
Dieser Nachbar, eine wachsbleiche Erscheinung mit kahlgeschorenem Kopf, der wollte ihr doch wohl nicht an die
Weitere Kostenlose Bücher