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Die falsche Frau

Die falsche Frau

Titel: Die falsche Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Mackowski
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Reconnaissance aber geht noch einen Schritt weiter. Man bildet sich ein, sich an einen Vorfall zu erinnern, der gar nicht stattgefunden hat – und der nur so eine Art Platzhalter für die verdrängte Geschichte ist.«
    »Also die falsche Erinnerung an einen Mord, um sich vor einer noch schrecklicheren Erinnerung zu schützen? Was für eine Steigerung kann es denn da noch geben?«, fragte Patrizia.
    »Die Psyche legt keine objektiven Maßstäbe an«, erklärte Rosen. »Ob ein Mord schlimmer ist als eine Vergewaltigung oder nur die Androhung von Gewalt, entscheidet unser Seelenleben nach eigenen Gesetzen. Die Seele will das einmal verdrängte Geheimnis hüten und sehnt sich zugleich nach einem Geständnis. Ist das Geständnis dann heraus, fühlen wir uns wie befreit und energiegeladen. Sie haben es mir ja eben beschrieben.«
    »Aber jetzt ist es zerplatzt wie eine Seifenblase«, sagte Patrizia. »Ich habe nur noch grauenhafte Angst.«
    Sarahs Puls hämmerte.
    Die theoretischen Ausführungen mussten Patrizia verunsichert haben. Wie konnte sie nur so voreilig sein. Das Ganze war eine Annahme, ein Versuch, der sie hoffentlich auf die richtige Fährte führte.
    »Ich bin dafür, dass wir zunächst nun über uns beide sprechen, über die ambivalenten Gefühle, die Sie mir entgegenbringen. In der letzten Stunde haben Sie mir von einem Traum erzählt, in dem sie Ihr Double bedrohte. Erinnern Sie sich? Eine Frau, die aufwändig geschminkt war. Ähnlich wie Irene Orlinger oder wie Antonia?«
    Patrizia schien etwas sagen zu wollen, konnte aber nicht, sondern saß mit geöffneten Lippen da. Ihr Blick war direkt auf Sarah Rosen gerichtet.
    Was hatte sie jetzt so erstarren lassen?
    Sarah Rosen wusste, dass man mit Patienten, die in einer akuten Krise waren, nur schwer vorankam. Und doch hielt sie es für richtig, Patrizia so gut es ging mit der Realität zu konfrontieren. Mit den Fakten rund um diesen Mord, aber vor allem mit ihrer Wut und einem tief sitzenden Gefühl der Schuld, das sie bisher gekonnt umschifft hatte.
    Unten auf der Gasse heulte die Sirene eines Wagens auf, der mit quietschenden Bremsen zum Stehen kam. Das Blaulicht leuchtete bis in das Behandlungszimmer und zuckte über die Wand.
    Patrizia schreckte auf.
    »Was geht Ihnen jetzt durch den Kopf?«, fragte Rosen.
    »Dass ich schlecht bin«, nuschelte Patrizia und fiel in sich zusammen. »Böse wie diese Frau in meinem Traum.«
    Sarah Rosen erinnerte sich, dass Patrizia Heral beide Eltern bei einem Autounfall verloren hatte, ein Trauma, das sich erst Jahre später in Form von Selbstzerstörung bemerkbar machte.
    »Jetzt denken Sie, dass ich auch noch meine Eltern auf dem Gewissen habe, oder? Das denken Sie doch?«, fragte Patrizia aufgebracht. »Dass ich für alle eine Katastrophe bin. Nur weil ich die Wahrheit gesagt habe.«
    Was war die Wahrheit? Oder hatte sie vielleicht jemand unter Druck gesetzt und zu dieser Aussage gezwungen?
    »Gab es irgendwelche bedrohlichen Anrufe oder Briefe?«
    »Nein.«
    »Was ist mit dem Traum? War die Frau, die ihnen so ähnlich sah und die sie so hassten, ihre Mutter?«
    Sarah Rosen wusste, dass sie sich auf Glatteis begab und ihre eigene Assoziation ziemlich gefährlich sein konnte. Aber sie musste es wagen, selbst wenn sie falsch lag.
    »Meine Mutter?«
    Patrizia hatte ein Funkeln in den Augen. Der Hass stand ihr ins Gesicht geschrieben. Aber auch dieses Gefühl hielt nicht lange und ging über in einen ohnmächtigen Schwall von Sätzen.
    »Sie war eine Hure«, sagte sie kalt.
    »Irene Orlinger war auch eine Hure«, antwortete Sarah, aber Patrizia schien sie nicht zu hören.
    »Sie hat meinen Vater nach Strich und Faden betrogen«, sagte sie. »Und als ich es ihm verraten habe, war sie plötzlich tot.«
    Sarah spürte sämtliche Nervenenden, so sehr hatte sie die Sitzung angestrengt. Ein lang gehütetes Geheimnis war ans Tageslicht gekommen. Mit dem Verrat also hingen die mörderischen Schuldgefühle zusammen, die Patrizia zu einem falschen Geständnis gezwungen hatten. Die erste Hürde war genommen.
    Sarah Rosen stand auf, verabschiedete ihre Patientin und begann den Schreibtisch leer zu räumen. Füller, Schreibblöcke und eine angebrochene Packung Weihnachtsmandelsplitter landeten auf dem Boden. Sie brauchte Klarheit jetzt, zückte ihr Diktiergerät, ließ eine neue Kassette in das Tapedeck gleiten und wiederholte.
    Patrizia Heral Akut schizoaffektive Störungen aufgrund eines unbewältigten Unfalltraumas. Fausse

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