Die falsche Frau
einer Schale mit getrockneten Früchten kam. Das übliche Brimborium eines überzeugten Esoterikers. Ying- und Yang-Kugeln. Steine. Handschmeichler.
Sarah hatte für so was nichts übrig und wäre am liebsten gleich wieder gegangen. Der Mann aber fixierte sie mit durchdringenden Augen, als wollte er dieses Bild für immer und ewig festhalten und in irgendeine Schublade legen.
Dann fing er an Hektik zu verbreiten. Schubladen und Schränke wurden aufgerissen.
Sarah nahm schnell einen Stoß Prospekte von der Sitzfläche eines Stuhls, der verlassen zwischen zwei Kakteen stand, und setzte sich.
Was zum Teufel wollte er von ihr? Ihr Blick fiel auf ein winziges Porträtfoto auf seinem Schreibtisch. Wahrscheinlich Ilse, seine Schwester. Ein ernstes Frauengesicht starrte sie an, ausgeblichen von der Sonne, ausdruckslos und mager.
»Sie haben wohl nicht oft Besuch?«, fragte Sarah endlich, den Kopf zwischen den Kakteen möglichst gerade haltend, während sie ihren Blick auf die Werbeanzeigen von Hotels und Artikeln aus der Ayurveda-Medizin richtete.
Wolowiec, umständlich mit dem Öffnen einer Teedose beschäftigt, schien ihre Frage nicht gehört zu haben. In einem alten Boiler gluckerte Wasser hoch. Sie wartete. Vielleicht sollten sie über diesen Selbstmörder reden? Ja, genau, wieso redeten sie nicht über diesen Mann?
Schon bald aber brannte Zimt, Kardamom und Ingwer auf ihrer Zunge, ein sogenannter Vata-Tee, den ihr Wolowiec feierlich in einer Tasse ohne Henkel anbot.
»Woher haben Sie diesen köstlichen Tee?«, fragte Sarah scheinheilig.
»Ich war kürzlich mit meiner Freundin sechs Wochen in Indien«, erklärte Wolowiec.
Er hatte also eine Freundin. Das war mehr als sie erwartet hatte. Herrje, dachte sie. Er ist nett, er ist charmant, er hat sich aus eigener Kraft ein neues Leben aufgebaut, seinen Doktor gemacht und sogar eine Freundin gefunden.
Sarah sah auf die Uhr. Eine Viertelstunde war um. Das brachte der Beruf mit sich. Dieses genaue Zeitgefühl.
»Danke vielmals«, sagte sie mit übertriebener Höflichkeit.
Sie durfte auf keinen Fall Patrizia Heral verpassen.
»Werden Sie mich wieder mal besuchen?«, fragte er.
»Warum nicht?«, entgegnete Sarah charmant, obwohl sie diesen distanzlosen Offerten nicht so recht traute.
19
D ER A NRUFBEANTWORTER in ihrer Praxis blinkte.
Sarah Rosen drückte auf die Wiedergabetaste. Kein Patient, sondern die Werkstatt. Eine übersteuerte Männerstimme mit typisch Meidlinger Akzent. In zwei Tagen würde ihr Jaguar wieder fahrtüchtig sein. Dann Semir Aydin. Er wollte sie gleich ins Präsidium abholen. Karlich hätte gern ein Gespräch mit ihr.
Sarah hatte das Gefühl, von allen Seiten bestürmt zu werden.
Verärgert ging sie in die Küche und ließ warmes Wasser über ihre Handgelenke laufen. Dann trocknete sie ihre Hände ab und gab einen Tupfer Victoria’s Secret hinters Ohr. Sarah schnupperte, als ob sie den Duft zum ersten Mal riechen würde. Er gefiel ihr plötzlich nicht mehr. Viel zu seifig. Viel zu intensiv. Ob der Mörder wusste, dass sie in die Ermittlungen eingebunden war? Wenn ja, beobachtete er sie heimlich? Sarah Rosen ging zur Tür sah durch den Spion. Nichts regte sich. Natürlich nicht.
Der Fall Orlinger, der sich verdunkelte, je mehr sie darüber spekulierte, war und blieb ein Mysterium. Dann die Drogengeschichte, in die François geraten war. Vielleicht nur ein Ablenkungsmanöver des Täters, möglicherweise das Ablenkungsmanöver einer ganzen Tätergruppe?
Wem außer Karlich sollte sie vertrauen? Semir Aydin, der sie mit verächtlicher Etikette strafte?
Es klopfte.
Sarah Rosen ging zur Tür und öffnete.
Patrizia Heral! Mit zerzausten Haaren und durchnässt wie eine streunende Katze, stand sie da und druckste herum.
»Ihren Mantel können Sie da drüben über der Heizung aufhängen«, sagte Rosen nach einer förmlichen Begrüßung. »Warum haben Sie denn nicht geklingelt?«
Patrizia murmelte eine Entschuldigung.
»Kommen Sie!«, sagte Sarah.
Dieses Wesen war ihr Schützling, und sie musste herausfinden, was mit ihr los war. Litt Patrizia tatsächlich unter paranoiden Zwangsvorstellungen, würde sie sich durch nichts von ihrer Unschuld überzeugen lassen.
»Ich denke, dass wir uns heute gegenübersetzen und lieber von Angesicht zu Angesicht sprechen«, sagte Sarah freundlich. »Sind Sie einverstanden? Sie haben mir sicher etwas Wichtiges zu sagen.«
Patrizia nickte schüchtern und wartete, bis ihr Sarah den speckigen Ledersessel
Weitere Kostenlose Bücher