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Die falsche Frau

Die falsche Frau

Titel: Die falsche Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Mackowski
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streckte den Arm aus und stützte sich auf einem wackeligen Tisch ab. Er fühlte, wie Zeigefinger und Daumen zu glühen begannen, als er nach dem Glas griff und die viel zu heiße Flüssigkeit an seinen Lippen brannte.
    Der Schmerz breitete sich mit einem langen Stich durch die Speiseröhre bis in seinen Magen aus.
    »Hören Sie, Satek«, sagte Semir endlich.
    François sah ihn mit schweren Lidern an.
    »Ich bin sicher, dass man Sie reinlegen wollte. Da hat Sie jemand gelinkt.«
    Pause.
    »Verarscht. He, verstehen Sie mich? Sie haben einen gefährlichen Freund, Satek.«
    Semir tippte sich an den Kopf und schrubbelte sein Haar.
    »Auch wenn es Ihnen schwer fällt, ich muss jetzt alles über Claire wissen«, sagte er. »Über ihre gemeinsame Zeit in Paris, welche Freunde sie hatte und so weiter und so weiter. Kriegen Sie das hin?«
    François nickte unmerklich.
    Dann ging die übliche Fragerei los.
    »Das mit der Rose ist besonders raffiniert«, hörte er Semir am Ende sagen. »Da wollte jemand eine falsche Fährte legen und Sie als Serienmörder in Verdacht bringen. Der Obduktionsbericht hat ganz klar ergeben, dass Ihre Freundin …«
    Semir stockte.
    »Ja, wie soll ich sagen …«
    Dann las er aus dem Bericht vor. »Verschiebungsbrüche der Halswirbel und zerquetschtes Rückenmark.« Semir überflog den Rest der Zeilen.
    »Erhängt«, steht hier.
    »Claire ist tot«, sagte François, »alles andere interessiert mich nicht.«
    »Und ihr Mörder lebt«, antwortete Semir, »wenn es nicht doch Selbstmord war.«
    »Selbstmord? Schwachsinn! Soll sie als Tote in den Park spaziert sein?«
    François fegte ein Glas vom Tisch. Semir telefonierte mit den Behörden in Paris.
    »Sie wollte zu mir«, sagte François und tippte sich auf die Brust. »Die ist doch nicht nach Wien gekommen, um hier Schluss zu machen. Sie war schwanger und wollte mich heiraten.«

29
    N OCH EIN LETZTES M AL wollte er sich zu Claire legen, um sie noch einmal zu küssen. Ihre kalten, blauen Lippen, das strohblonde Haar, die geschwungenen Hüften, die jetzt die Innenwände einer Kühlbox berührten.
    François stand vor dem Präsidium und war halb wahnsinnig vor Schmerz.
    Warum Claire?
     
    Die Augen auf einen Punkt im Asphalt fixiert, aus dem es zuerst schwach, dann immer heftiger zu lodern begann, kam ihm das rote Pannenlicht eines Wagens, der nur ein paar Meter weit entfernt auf den Abschleppdienst wartete, wie Feuer vor.
    Plötzlich wollte er zurück.
    Zurück an den Ort, an dem er sie zuletzt gesehen hatte, in der Hoffnung auf eine Erklärung, auf irgendetwas, das sie ihm wieder näher brachte.
    Aber da war immer noch dieses Feuer, das ihn ängstigte, und dieser Schmerz, den er zuerst betäuben musste und der so grundlegend war, dass er nicht mal mehr wusste, was ihm mehr wehtat.
    Der Verlust von Claire oder seine bloße Existenz.
     
    Am nächsten Kiosk kaufte er sich eine Flasche Whisky.
    Den Whisky trank er wie Wasser, im Gehen und ohne ein einziges Mal abzusetzen. Sein Herz pumpte ihm dabei so viel Blut in den Kopf, dass er rosarote Wirbelkreise tanzen sah und zwischendurch glaubte, Claire wäre noch am Leben. Wirbelkreise, die nach und nach zu Punkten wurden und dann andauernd ihre Farbe wechselten. Blau, grün, gelb, am Ende schwarz.
    François rannte den Punkten hinterher.
     
    Wie lange mochte er so gerannt sein? Soundso viele Kilometer, soundso viele Minuten. Er wusste es nicht.
    Auf der Prinz-Eugen-Straße, gegenüber der türkischen Botschaft waren die Punkte plötzlich wieder verschwunden. Nur das eine Wort, das sich in jeder Zelle seines Körpers festgesetzt hatte, war immer noch da.
     
    Warum?
     
    Eine Fahne flackerte im Wind. Er musste ganz in ihrer Nähe sein.
    Bald schon sah er das Schloss mit seiner goldenen Kuppel, den riesigen, weißen Bauch.
    François schluckte Luft.
    Einmal, zweimal, dreimal, dann rannte er über das Kopfsteinpflaster am Belvedere vorbei und stand endlich auf dem Spielplatz.
    Da war die Bank, da die Stelle, an der sie gelegen hatte.
    Sie war leer. Erschreckend leer.
     
    François fiel auf die Knie und fing an zu schluchzen. Dann legte er sich auf den Bauch, rieb sein Gesicht mit der weichen, dunklen Erde ein und küsste in Gedanken ihre kalten, blauen Lippen.
    Das Bild vom Cafard kam wieder.
    Wie alle Kakerlaken im Endstadium ihrer Häutung war er versessen auf die Rundumberührung seines Körpers und drehte sich so lange um sich selbst, bis der Panzer platzte.
    Bis er weiß und nackt war.

30
    D ER T AG ,

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