Die falsche Frau
Reporter, der Sarah mit tausend Fragen belästigte.
»Was sagen Sie als Analytikerin zum Symbol der Rose? Ich habe Ihren Namen in der Zeitung gelesen.«
Sarah Rosen wehrte den Mann ab und gab keinerlei Auskünfte. Zu diesem Zeitpunkt durfte nicht das Geringste an die Öffentlichkeit dringen. Wer hatte diesen Reporter überhaupt verständigt? Eine Sekunde lang überlegte sie, ob es sinnvoll wäre, eine falsche Fährte zu legen, doch dann verwarf sie den Gedanken und vertröstete den Mann auf den nächsten Tag.
Eine Rutsche, ein Klettergerüst und eine frisch gestrichene Wippe. Sie standen mitten auf einem Spielplatz.
Sarah hatte hier vor vielen Jahren einen Sommer lang für ihre Prüfungen gelernt; damals gab es nur Bänke, auf denen zur Mittagszeit Nonnen stickten oder in dicken Büchern lasen.
Diese hohe Mauer. Dahinter das mächtige Kloster.
»Ein makaberer Ort für einen Mord, finden Sie nicht«, sagte Sarah und ging auf den Arzt zu, der gerade dabei war, die Leiche zu untersuchen.
Die Polizei hatte den Tatort abgeriegelt und den Rand mit roten Pflöcken im Abstand von einem Meter markiert.
»Glauben Sie, dass der Täter hier noch was vergraben hat?«, fragte sie.
Semir nickte.
»Zumindest hat er es versucht. Sehen Sie?«
Er wies auf eine Grube, etwa fünfzig Zentimeter tief.
»Wahrscheinlich wollte der Mörder sein Opfer hier verstecken und hatte keine Zeit mehr.«
Sarah sah sich den Tatort genauer an. Die Tote lag halb unter einer Bank. Nur ihr Rumpf lugte hervor, und die aufgelösten blonden Haare bildeten einen hellen Kreis, der wie drapiert wirkte.
»Lass dir Zeit, um zu überlegen«, sagte Karlich.
»Was gibt’s denn da zu überlegen?«, sagte Sarah. »Der Täter ist jetzt in der Phase, in der er sich in die Ermittlungen einmischen will. Das ist ganz typisch.«
Dann hielt sie inne.
»Aber ich bin noch nicht sicher, ob wir es nicht sogar mit zwei Tätern zu tun haben? Wenn ja, dann ist dieser Mörder nichts weiter als ein Trittbrettfahrer.«
Die Tote lag viel zu zufällig da. Als ob sie jemand in großer Eile unter die Bank geschoben hätte.
»Sie haben recht, Semir. Jemand muss ihn gestört haben. Ist die Leiche schon identifiziert?«, fragte sie schnell und wandte sich an den Arzt.
»Ja, es handelt sich um eine gewisse Claire Raquin aus Paris. Die Frau trug Pass und Geldbörse bei sich. Sehen Sie! Wieder Würgemale am Hals. Wie beim ersten Opfer. Und wieder eine Rose.«
Sarah erschrak als sie den Namen Claire hörte, der sich wie ein magischer Klang in ihr Gedächtnis gebrannt hatte. Dann sah sie sich hektisch um.
»Wo ist denn eigentlich Satek geblieben?«, fragte sie aufgeregt. »Der kann doch jetzt nicht einfach so verschwinden!«
»Keine Ahnung«, sagte Semir.
Sarah wandte sich genervt ab und legte ihre Hand auf den Hals der Leiche, auf der ein paar dunkle Stellen zu sehen waren, die weder nach Striemen noch nach Blutergüssen aussahen.
»Tod durch Erwürgen also«, sagte sie nachdenklich. »Oder war es Selbstmord? Was denken Sie?«
»Könnte auch Tod durch Erhängen gewesen sein. Das kann man nie so genau sagen«, erklärte der Arzt, »nicht mal nach einer Obduktion.«
»Aha!«
Sarah wirkte abwesend.
»Sonst irgendwelche Parallelen zum Mordfall Orlinger?«
Karlich schob seine Brille weiter hoch. »Nein. Kein Make-up, auch kein Parfüm.«
»Dachte ich mir. Außer dass der Täter wieder einen besonders schönen Ort gewählt hat, ausgerechnet diesen Spielplatz im Areal von Schloss Belvedere!«
»Was sagt dir die Verbindung Paris-Wien, Sarah?«
Karlichs Gesicht war übersät mit roten Flecken. Wahrscheinlich hatte er das falsche Aftershave benutzt, oder es war die Aufregung.
»Du willst doch wohl nicht darauf hinaus, dass François Satek mit der Sache zu tun hat?«
Der Arzt hatte inzwischen die Leiche bei den Beinen gepackt und ein Stück hervorgezogen. Claire Raquin trug eine weiche, dick wattierte Bomberjacke, die ihr viel zu groß war.
»Sieht aus, als ob sie die Jacke eines Bekannten oder Freundes übergezogen hat«, sagte er Arzt.
Sarah vertiefte sich in die Gesichtszüge einer Frau, von der sie nicht viel mehr wusste, als dass sie Sportlehrerin war, heiraten wollte und höchstwahrscheinlich schwanger war.
»Jetzt bloß keine Geschichten über Galotti oder Vater-Tochter-Verhältnisse«, sagte Karlich.
So hatte Sarah ihren Freund noch nie reden hören. Ratlos stand sie da, den Blick auf die Frau gerichtet. Was ihr fehlte, war eine zündende Idee – aber
Weitere Kostenlose Bücher