Die falsche Frau
die Straßenbahn am Matzleinsdorfer Platz und schlug demonstrativ die Beine übereinander. Diese Stadt strömt wieder Mal die Erotik eines alten Vanillepuddings aus. Muffige Leute, muffige Straßenbahn, muffige Luft.
Vera wippte provozierend mit dem Fuß, um sich Laune zu machen.
Wie immer. Mann und Frau schätzen sich verstohlen ab, den Blick verschämt auf ein Paar schäbige Schuhe oder die ausgefranste Einkaufstasche gerichtet.
Ein freundliches Rentnerpaar im Visier, sie in grünem Trevira, er im dunkelbraunen, schmalen Anzug, fing Vera fröhlich an zu summen.
S’paradise.
Klar, das muss man sich nur einreden. Merkt denn keiner was?
Ob die zwei Alten sich lieben? Ja. Nein. Ja. Der Alte platzte mit einem rasselnden Husten los.
S’wonderful.
Die Frau hakte sich bei ihrem Mann unter und streichelte seinen Arm.
Vera wandte sich ab und sah nach draußen.
Die Straßenbahn war aus dem Schacht gekrochen. Autos fuhren im Schritttempo. Diese elend lahmarschige Stadt und diese irre verdrehte Ansage vom Band.
Wir ersuchen Sie höflichst … Vera stand auf. Paulanergasse. Endlich Karlsplatz. Raus!
Es roch nach Mottenkugeln und frisch gebrühtem Kaffee, als Vera ins Porgy kam und einer Frau mit Stecknadeln zwischen den Zähnen gegenüberstand. Sie hatte die Hände in die Hüften gestemmt.
»Vera Kirchner?«
»Ja.«
»Na endlich.«
Die Frau nahm ihr den Mantel ab und auch sonst alles, was sie am Leibe trug.
»Hier. Ziehen Sie das über!«
Die Frau hatte ihr ein kleines Etwas zugeworfen, das sich kalt und hart anfühlte. Ihre wurstigen Finger klaubten jetzt bedächtig Nadeln zwischen den Lippen hervor.
»Die Haare offen, kein Make-up und diese Pumps hier«, sagte sie barsch.
Vera stierte auf ein Paar Schuhe, das nur aus Sohlen, hohen Pfennigabsätzen und kleinen Riemchen bestand.
»Anordnung vom Chef!«
Welcher Chef?, dachte Vera, aber es war zu spät, um Fragen zu stellen, und so stieg sie schweigend in das kalte, harte Etwas.
Du hast allen Grund, dich jetzt gewaltig ins Zeug zu legen, dachte sie und stöckelte über die Bühne.
Ihr mächtig exotischer Hintern schmiegte sich in die eingeschwungene Seite eines schwarzen Flügels. Dann strich sie sich mit der Hand über die Augen, als wollte sie ihrem Traum, der wahr geworden war, nicht ganz trauen. Irgendwann vorn, an der Rampe, hauchte sie ein langes, zögerliches Ssss in das Mikro.
Sssss-wonderful.
»Guten Abend!«, sagte Vera leise.
Neugierige Köpfe hoben sich. Gesichter im Dunkeln. Ohne Münder. Ohne Augen.
Vielleicht sollte sie jetzt mal das Mikro anmachen, möglichst lasziv, so wie Alicia Keys, dachte sie und zupfte ihr Nixenkleid zurecht. Endlich die richtige Stellung gefunden, mitten im gelben Licht eines Scheinwerfers, gab sie den Musikern ein Zeichen.
S’paradise.
Veras Stimme vibrierte, neigte zum Flüstern, war heiser und machte Pausen, als wüsste sie den Text nicht. Aber sie wusste alles. Sie zögerte nur. Stand reglos da. Suchte nach irgendeinem bekannten Gesicht, nach einem Lächeln, dann schloss sie die Augen, bis der letzte Ton verklungen war und verbeugte sich.
Ein paar Sekunden lang herrschte andächtige Stille. Eine dunkle Rose flog ihr vor die Füße. Applaus. Noch mehr Applaus.
Danach eine feuchte Hand, die ihren Arm umfasste, noch während sie sich verbeugte, und die sie ohne eine Erklärung in den oberen Teil des Saales führte.
Einen Moment lang glaubte sie, François hätte sie bei der Hand genommen.
»Schnell«, sagte der Mann. »Kommen Sie.«
Schon war der Glücksmoment wieder vorbei.
»Sie wollen doch sicher wissen, wer Sie engagiert hat!«
Das Vienna Art Orchestra hatte inzwischen mit einer Duke-Ellington-Nummer begonnen.
Vera wollte den Kerl am liebsten schnell loswerden. »Wer sind Sie überhaupt?«
Der Typ klopfte auf das Zifferblatt seiner Uhr. »Wir haben zwölf Minuten!«
Plötzlich standen sie in einem schmalen Zimmer mit einer dunkelgrünen Deckenleuchte. Im hintersten Winkel hing ein Monitor, der das Geschehen auf der Bühne verfolgte, davor ein Tisch mit extra dünnen Beinen.
»Setzen!«, befahl der Mann und wies auf einen Stuhl. »Der Boss kommt gleich.«
Dann war er verschwunden.
Vera fummelte an ihrem Dekolleté herum und spürte, wie ihr der Schweiß im Nacken runterlief. Es war heiß in dem Laden. Was sollte das alles?
»Vera, Sie sind … eine bemerkenswerte Frau. Sie sind … Sie singen fantastisch!«, sagte eine Stimme hinter ihr.
Vielleicht sollte sie jetzt lieber
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