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Die falsche Frau

Die falsche Frau

Titel: Die falsche Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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gehabt. »Bis jetzt wissen wir so
gut wie gar nichts. Der vorläufige Obduktionsbericht soll aber im Lauf des
Nachmittags kommen. Haben sie hoch und heilig versprochen.«
    Die Gerichtsmediziner hielten Wort. Um sechzehn Uhr rief
ich Sven Balke und Evalina Krauss zu mir. Helena Guballa war ohnehin schon da
und brauchte nicht eingeladen zu werden.
    Â»Von einem Leichnam haben wir einen ganz brauchbaren Zahnstatus«,
berichtete ich meinem aufmerksam lauschenden Publikum. »Den schicken wir über
unseren Verteiler an alle Zahnärzte in der Umgebung.« Ich nickte Kollegin
Krauss zu, um klarzustellen, wen ich mit »wir« meinte. »Der oder die Tote hatte
mehrere Implantate und Brücken im Mund. Vom Zustand der Zähne zu schließen,
dürfte er nicht mehr ganz jung gewesen sein.«
    Â»Und der Zahnarzt wird sich einen halben Mercedes an ihm verdient
haben«, meinte Balke böse. »Erhöht unsere Chancen, dass er sich an den
Patienten erinnert.«
    Â»Am anderen dürfte sein Zahnarzt nicht viel Freude gehabt haben«,
fuhr ich fort. »Der hatte ein sehr gut erhaltenes Gebiss. Ansonsten leider bei
beiden keinerlei Auffälligkeiten. Keine schlecht verheilten Knochenbrüche,
keine anatomischen Unregelmäßigkeiten.«
    Die beiden Körper hatten in einem Maße unter der Hitze gelitten, wie
es auch der Arzt, von dem der dreiseitige Bericht stammte, nie zuvor gesehen
hatte. Nicht einmal die Körpergröße der Toten zu Lebzeiten ließ sich ohne
Weiteres bestimmen. Hoffnung setzten die Mediziner in winzige DNA-Reste, die
sich auch bei stark verkohlten Leichen oft in den Oberschenkelknochen finden
lassen. Mit den heutigen technischen Mitteln reichten bereits wenige Moleküle
aus, um einen genetischen Fingerabdruck zu erstellen.
    Eine wichtige Kleinigkeit kam ganz am Ende des Obduktionsberichts,
und ich fand es beunruhigend, dass diese meinen Mitarbeitern von der
Spurensicherung entgangen war.
    Â»Am Arm des Körpers mit den gesunden Zähnen befinden sich Reste von
einer Herrenarmbanduhr. Einer teuren Armbanduhr, mit großer Wahrscheinlichkeit
von der Firma Glashütte. Ein mechanisches Modell, das seit fast fünfzig Jahren
nicht mehr hergestellt wird. Und auf der Rückseite ist eine Gravur.«
    Â»Eine Gravur?«, fragten Balke und Krauss gleichzeitig. Auch Helena
Guballa, die inzwischen wieder vor ihrem Laptop saß, sah mich erwartungsvoll
an.
    Â»XvA.« Ich klappte den Bericht zu. »Großes X, kleines v, großes A.«
    Â»Wie meinten Sie das, als Sie vorhin sagten, Terroristen
seien oft romantisch veranlagt?«, fragte ich meine Bürogenossin, als wir wieder
unter uns waren.
    Zögernd hörte sie auf zu tippen, machte auf ihrem hübsch gemusterten
Schreibtischstuhl, der irgendwann ohne mein Zutun gegen den Besucherstuhl
ausgetauscht worden war, eine Hundertachtzig-Grad-Drehung, sah mich ernst und
konzentriert an.
    Â»Vor allem junge, noch unreife Menschen sind für extremistisches
Gedankengut anfällig. Menschen, die den Glauben noch nicht verloren haben, dass
Gerechtigkeit möglich ist. Die irgendwann an der Erkenntnis verzweifeln, dass
sich außer ihnen offenbar niemand für diese doch so wichtige Frage zu
interessieren scheint. Wenn sie dann auch noch das Pech haben, in die falschen
Kreise zu geraten, und den Kontakt zu ihrem alten Umfeld verlieren, dann sind
die Chancen groß, dass es am Ende schiefgeht. An einem bestimmten Punkt kommen
diese Menschen zu dem Schluss, dass Reden nichts hilft. Dass Reden nichts
verändert. Von dieser Minute an sind sie verloren, weil Argumente sie nicht
mehr erreichen.«
    Mir fiel auf, dass auf dem Schreibtisch der BKA-Beamtin nichts
herumlag außer ihrem Laptop und einem DIN-A4-Blatt, von dem sie ihre Notizen
abtippte.
    Â»Und was ist mit denen, die keine Romantiker sind?«
    Â»Die gibt es selbstverständlich auch. Die Einsamen, die in einem
politisch extremen Grüppchen zum ersten Mal im Leben das Gefühl haben, ernst
genommen zu werden, angenommen zu werden. Die sind aber meist nur mit halbem Herzen
dabei und für uns relativ leicht umzudrehen, wenn es gelingt, sie von ihrer
Gruppe zu isolieren. Dann gibt es die Abenteurerfraktion. Zu denen zählen wir
zum Beispiel Andreas Baader. Denen macht es einfach Spaß, ein aufregendes Leben
zu führen, Räuber und Gendarm zu spielen mit echten Waffen und sich dabei auch
noch groß und edel zu fühlen. Und

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