Die falsche Frau
schlieÃlich gibt es die Intellektuellen. Das
sind die Gefährlichsten. Denken Sie an Ulrike Meinhof. Das sind die, die sich
aus politischer Ãberzeugung, nach reiflicher Ãberlegung und mit kühlem Herzen
zum bewaffneten Kampf entschlieÃen.«
»Wie schätzen Sie Judith Landers ein?«
»Eine Mischung aus Typ eins und Typ vier. Ein bisschen Romantik,
viel Intellekt und keine Spur von Abenteuerlust.«
»Und Sie glauben wirklich, sie plant einen Anschlag?«
Die Zielfahnderin atmete tief ein und schlug die Augen nieder. »Zum
Glauben gehe ich in die Kirche, Herr Gerlach. Ich bin hier, um Erkenntnisse
über Judith zu sammeln, Fakten, Details aus ihrem Leben. Ich bin hier, um unser
Bild von ihr immer weiter zu vervollständigen. Und irgendwann, vielleicht
morgen, vielleicht in zehn Jahren, wird das dazu führen, dass sie gefasst wird.
Daran glaube ich.«
Ich lehnte mich zurück und nahm die Brille ab.
»Würden Sie mir ein wenig von ihr erzählen?«
Ãberrascht sah sie auf. »Selbstverständlich«, erwiderte sie. »Zur
Welt gekommen ist sie am vierundzwanzigsten Dezember neunzehnhundertsechzig in
Neckarsteinach.«
»Ein Christkind also.«
Als hätte sie meine Bemerkung nicht gehört, sprach sie weiter:
»Grundschule von siebenundsechzig bis einundsiebzig. Der Vater war ein kleiner
Beamter bei der Post, die Mutter Lehrerin. Judith war ein Einzelkind. Beide
Eltern protestantisch, sehr religiös.« Sie referierte jedes Detail aus dem Gedächtnis.
»In Judiths letztem Grundschuljahr wird der Vater nach Heidelberg versetzt. Man
zieht um, in eine Vierzimmerwohnung in der GrünewaldstraÃe. So kam Judith
einundsiebzig aufs Helmholtz-Gymnasium.«
»Auf das gehen meine Töchter auch!«
»Sie war bis zum Abitur eine gute bis sehr gute Schülerin. Wie die
Eltern fromm, strebsam und angepasst.«
»Und wenige Jahre später ist das brave Mädchen eine europaweit
gesuchte Terroristin und mehrfache Mörderin«, sagte ich nachdenklich.
»Viele Mitglieder der RAF waren wohlerzogene Kinder.«
10
»Paps«, begrüÃte mich Sarah am Abend. »Wir müssen mit dir
reden.«
Ich hängte mein Jackett an die Garderobe. »Gibtâs schon wieder Ãrger
in der Schule?«
Neben ihr stand Louise und musterte mich mit finsterer, fast
feindseliger Miene.
»Es ist wegen diesem Amerikaner. Diesem Ron Henderson.«
»Aha.«
Sie gingen voran ins Wohnzimmer und setzten sich auf die Couch. Ich
nahm im Sessel Platz, schlug die Beine übereinander und fühlte mich ein wenig
wie ein Angeklagter im Kreuzverhör. »Und?«
»Hast du gewusst, dass der über tausend Menschen umgebracht hat?«
»Wo habt ihr den Unsinn denn her?«, fragte ich, nachdem ich mich von
meiner Verblüffung erholt hatte.
»Gelesen«, erwiderte Louise ungnädig. »Im Internet.«
»Im Internet steht eine Menge Unsinn. Wieso sollte er denn Menschen
umgebracht haben?«
»Nicht selber natürlich. Bevor er Minister geworden ist, war er
nämlich Boss von einer groÃen Baufirma.«
»Das weià ich. Aber das ist kein Verbrechen.«
»Seine Firma hat zum Beispiel im Irak Supergeschäfte gemacht.
StraÃen gebaut und Brücken, die die Amerikaner vorher selber zusammengeschossen
haben. Dein Mister Henderson ist nämlich ein Busenfreund von dem Präsidenten,
der den Krieg angefangen hat.«
Ich setzte mich gerade hin. »Erstens ist er nicht mein Mister Henderson. Zweitens mag das alles richtig sein.
Aber ich verstehe immer noch nicht â¦Â«
»Manchen Irakern hat das nicht gepasst, dass die alles wieder
aufbauen.«
»Stimmt nicht«, wies Sarah ihre eine halbe Stunde jüngere Schwester
zurecht. »Dass die Amerikaner auch noch fett dran verdient haben, das hat denen
nicht gepasst. Sie haben nämlich meistens keine Einheimischen eingestellt,
sondern ihre eigenen Leute eingeflogen. Obwohl es da unten genug Leute gibt,
die keine Arbeit haben.«
»Dann hat es Anschläge gegeben. Bombenanschläge auf die Baustellen
und auf die Amerikaner. Und dann haben sie eine Sicherheitsfirma geholt, damit
sie die Baustellen bewacht.«
»Und dann hat dein Mister Henderson beschlossen, dass ihm das zu
teuer ist, und einfach eine eigene Sicherheitsfirma gegründet.«
»Im Internet steht, sie haben die unmöglichsten Typen eingestellt.
Ehemalige Soldaten,
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