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Die falsche Frau

Die falsche Frau

Titel: Die falsche Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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Lieblingsautorinnen war Mary Wollstonecraft. Die Lehrerin
hatte ihr zum Abitur einen Roman von der Autorin geschenkt, und ich weiß, dass
sie den als Reiselektüre dabei hatte. Und vorhin habe ich nun auf der Homepage
der Pakistan Times eine kleine Meldung entdeckt, in der eine Engländerin dieses
Namens erwähnt wird. Es geht um die Einweihung eines neuen Schulgebäudes in
einem Dorf nördlich von Peshawar. Die alte Schule ist bei der großen Flut vor
zwei Jahren zerstört worden.«
    Â»Und Sie sind sicher, dass es die richtige Frau ist?« Es gelang mir
nicht, meine Zweifel zu verbergen.
    Â»Hier sind Fotos. Möchten Sie sie sehen?«
    Ich erhob mich und trat hinter sie. Sie klickte eines der sechs
Bildchen an, es wurde ein wenig größer, jedoch nicht schärfer. Stolz schob sie
den Mauszeiger auf irgendein Gesicht.
    Â»Bitte sehr: Judith Landers.«
    Die Frau trug ein rotes, knöchellanges Kleid und ein marineblaues
Kopftuch, das ihr Haar völlig bedeckte. Die Aufnahme war von miserabler
Qualität, aber so viel konnte ich erkennen: Das Gesicht war schmal, die Haut
sonnengebräunt, jedoch heller als die der Umstehenden. Auch die Gesichtszüge
verrieten, dass diese Frau keine Einheimische war. Zudem war sie größer als die
anderen, die sich strahlend um sie drängelten. Nur die große Frau in der Mitte
lachte nicht. Der trockene Boden, auf dem die kleine Gruppe stand, war
ockerfarben und verriet ein schweres Leben. Im Hintergrund war ein aus Lehmziegeln
gemauertes, einstöckiges Gebäude zu sehen – wahrscheinlich die Schule, deren
Einweihung gefeiert wurde. Davor ein einfacher Tisch, auf dem einige Flaschen
standen und Dinge, die man vermutlich essen konnte. Der Text über und unter den
Bildern – Hieroglyphen.
    Â»Menschen verändern ihr Aussehen über die Jahre«, gab ich zu
bedenken.
    Â»Ich würde sie trotzdem unter Tausenden erkennen. Sie ist es.«
    Â»Und nun?«
    Â»Als Erstes werde ich Kontakt zum deutschen Konsulat in Lahore
aufnehmen«, sagte Helena Guballa, ein wenig atemlos vor Aufregung. »In diesen
Ländern hilft erfahrungsgemäß nur, sich durchzufragen, von einem zum Nächsten
und zum Übernächsten. Bis man auf jemanden trifft, der jemanden kennt, der
jemanden kennt, der einem vielleicht etwas sagen kann.«
    In den folgenden Stunden kamen in rascher Folge winzige Informationssplitter
über das Leben der angeblichen Judith Landers im Nordwesten Pakistans zutage.
Helena Guballa entdeckte immer mehr Meldungen auf privaten und offiziellen
Websites, in denen der Name Mary Wollstonecraft genannt wurde. Das Mittagessen
ließ sie ausfallen. Ich brachte ihr aus der Kantine ein Käsebrötchen mit. Meist
ging es bei diesen Meldungen um Mädchenschulen, mit deren Gründung und Bau die
Frau zu tun hatte, von der sie hartnäckig behauptete, sie sei die seit fast
zwanzig Jahren verschwundene Terroristin.
    Â»Ich habe den Namen mal gegoogelt«, sagte sie zwischen zwei hastigen
Bissen von ihrem Käsebrötchen. »Mary Wollstonecraft war eine englische
Schriftstellerin und frühe Frauenrechtlerin im achtzehnten Jahrhundert. Eines
ihrer großen Lebensziele war Schulbildung für Mädchen. Leider ist sie nicht alt
geworden.«
    Â»Wo ist Frau Landers jetzt? Noch immer in Pakistan?«
    Â»Die letzte Meldung, die ich bisher gefunden habe, stammt vom
siebzehnten Februar. Damals war sie offenbar noch dort. Ich habe aber schon vor
Stunden eine Mail an die Zentralredaktion der Pakistan Times geschrieben mit
der Bitte um die Mailadresse des Journalisten, der den Artikel verfasst hat.
Bisher ist noch keine Antwort gekommen. Vom Konsulat habe ich leider auch noch
nichts gehört.«
    Helena Guballa arbeitete jetzt wie im Fieber. Keine Website blieb
unbesucht, die auch nur die winzigste Chance versprach, etwas über Judith
Landers alias Mary Wollstonecraft in Erfahrung zu bringen. Websites voller
indischer Schriftzeichen oder vielleicht auch pakistanischer, falls man dort
eine andere Schrift benutzte. Ich wusste wenig über dieses Land, außer dass es
Katastrophen magisch anzog. Wenn in den Nachrichten darüber berichtet wurde,
dann ging es um Erdbeben, Überschwemmungen biblischen Ausmaßes, Selbstmordattentate
mit zahlreichen Toten, Hungersnöte oder den Dauerzwist mit Indien.
    Â»Waziristan«, seufzte meine Bürogenossin irgendwann erschöpft, »das
ist Talibanland. Da

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