Die falsche Tochter - Roman
Vermutungen. Mein Vater hat als Ehemann und Vater völlig versagt und war ganz allgemein ein schwieriger Mensch. Aber er war ein guter Anwalt mit großem Respekt vor dem Rechtssystem, der sich hingebungsvoll dem Thema der Adoption gewidmet hat. Er hat dazu beigetragen, dass Familien geschaffen wurden. Darauf war er stolz.«
»So stolz, dass er Familien zerstörte, um neue zu schaffen?«, warf Callie ein.
»Wie ich schon sagte, ich werde mir die Unterlagen anschauen. Ich muss darauf bestehen, dass Sie keine weiteren verleumderischen Äußerungen über meinen Vater machen. Wenn Sie meiner Sekretärin Ihre Telefonnummern oder die Ihrer Anwältin geben möchten, rufe ich Sie an, sobald ich eine Entscheidung getroffen habe.«
Bevor Callie antworten konnte, erhob sich Jake. »Es ist ein seltsames Gefühl, Carlyle, wenn das Bild, das man von seiner Familie hat, wenn das eigene Selbstverständnis von einer Minute zur anderen erschüttert wird, nicht wahr?«
Er ergriff Callies Hand und zog sie hoch. »Und genau das ist Ms Dunbrook passiert. Ich bin gespannt, ob Sie auch nur halb so viel Mumm besitzen wie sie. Schauen Sie sich die Unterlagen an, und treffen Sie Ihre Entscheidung. Und denken Sie daran: Wir werden Ihren Vater auch ohne Ihre Hilfe finden. Ich werde es zu meiner Lebensaufgabe machen, ihn zu finden, weil niemand ungeschoren davon kommt, der Callie unglücklich macht.«
Er drückte ihre Hand, als sie ihn anstarrte. »Außer mir. Lass uns gehen.«
Sie schwieg, bis sie draußen waren. Dann sagte sie: »Das war ja eine fulminante Abschlussrede, Graystone.«
»Hat sie dir gefallen?«
»Ich fand sie ziemlich effektiv. Ich habe bisher nicht darüber
nachgedacht, ob ich unglücklich bin. Wütend, entschlossen, verwirrt, ja – aber unglücklich?«
»Ich habe dich unglücklich gemacht. Darüber habe ich im letzten Jahr häufig nachgedacht.«
»Wir haben uns gegenseitig unglücklich gemacht.«
Er legte eine Hand unter ihr Kinn und drehte ihren Kopf zu sich. »Vielleicht, aber eines weiß ich ganz genau: Mit dir war ich glücklicher als ohne dich.«
Die Gedanken in ihrem Kopf überschlugen sich. »Verdammt, Jake!«, stieß sie hervor.
»Ich dachte, das solltest du wissen. Und da du eine kluge Frau bist, kannst du sicher nachvollziehen, dass ich lieber glücklich als unglücklich bin. Also werde ich dich zurückerobern.«
»Ich bin doch kein … kein Jo-Jo.«
»Ein Jo-Jo kommt zurück, wenn man nur die richtige Handbewegung macht. Aber du bist kein Spielzeug, Dunbrook, dich zurückzuerobern bedeutet harte Arbeit. Möchtest du eigentlich hier auf dem Bürgersteig stehen bleiben und über unser zukünftiges Glück diskutieren?«
»Nein.«
»Wir können hier bleiben und versuchen, den Typ ein wenig zu bedrängen – oder aber wir lassen ihn einfach schmoren und gehen wieder an unsere Arbeit.«
»Was soll das? Du willst mir doch nicht etwa sagen, was ich tun soll?«
Er zuckte zusammen. »Ich versuche es, so gut es geht, zu vermeiden. Wie mache ich mich?«
»Eigentlich ganz gut.« Sie streichelte ihm flüchtig über die Wange, drehte sich dann aber sofort wieder zu Richard Carlyles Bürogebäude um. »Ich glaube ihm einfach nicht, dass er nicht weiß, wo sein Vater ist. Vielleicht hat er die exakte Adresse nicht im Kopf, aber er muss doch wissen, wie er ihn erreichen kann. Wenn wir ihn bedrängen, dann würde er ihn instinktiv abschirmen, oder?«
»Wahrscheinlich. Und er würde seinen Vater entweder mit unserem Verdacht konfrontieren oder ihn warnen.«
»Wegen einer Warnung brauchen wir uns keine Gedanken zu machen. Carlyle weiß bereits, dass wir nach ihm suchen, da bin ich mir sicher. Ich würde sagen, wir geben Richard ein paar Tage Zeit, machen uns wieder an die Arbeit auf dem Feld und kümmern uns um die Namensliste, die Suzanne mir gegeben hat.«
»Vermutlich ist damit jede Chance hinfällig, dass wir uns eine Suite im Ritz nehmen, wo ich über dich herfallen darf?«
»Ich fürchte, ja. Aber du kannst mich in der Flughafenbar zu einem Drink einladen und mit mir flirten.«
»Wenn das die beste Möglichkeit ist, dann lass uns schnell ein Taxi nehmen und damit beginnen.«
»Sie sind wieder da!« Bill McDowell kam sofort angerannt, als Callie auf dem Ausgrabungsgelände auftauchte. Sein junges, ernsthaftes Gesicht glänzte noch von der Morgenwäsche.
»Wir waren doch nur einen Tag weg, Bill«, antwortete Callie abwesend, weil sie zu Frannie hinüberblickte, die einen Landvermessungsstab
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