Die falsche Tochter - Roman
unbedingt wissen, wo er sich aufhält.«
»Ich verstehe.« Carlyle legte seine Finger aneinander, und sein Gesicht verlor den höflich interessierten Ausdruck. »Da dies die zweite Nachfrage nach meinem Vater innerhalb weniger Tage ist, gehe ich davon aus, dass hier ein Zusammenhang besteht. Ich kann Ihnen nicht helfen, Ms Dunbrook. Und meine Zeit ist äußerst begrenzt, also …«
»Möchten Sie nicht wissen, warum ich ihn suche?«
Er stieß einen leisen Seufzer aus. »Um ganz aufrichtig zu
sein, Ms Dunbrook, es gibt nur wenig, was mich an meinem Vater interessieren würde. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen möchten?«
»Er ließ Säuglinge stehlen und verkaufte sie dann an kinderlose Paare, die ihm ein großzügiges Honorar dafür zahlten, ohne zu wissen, dass es sich um entführte Kinder handelte. Er hat die Adoptionspapiere gefälscht; sie haben nie irgendeinem Gericht vorgelegen.«
Richard starrte Callie an. »Das ist absurd. Ich muss Sie davor warnen, solche Behauptungen aufzustellen.«
»Es ist nichts als die Wahrheit. Und ich habe Beweise dafür.«
Er blickte sie unverwandt aus seinen kühlen blauen Augen an. Callie vermutete, dass er vor Gericht gnadenlos war.
»Was für einen Beweis sollten Sie wohl haben?«
»Zunächst einmal mich selbst. Ich wurde als Säugling entführt und an ein Ehepaar verkauft, das zu den Mandanten Ihres Vaters gehörte. Die Übergabe fand in seiner Bostoner Kanzlei im Dezember 1974 statt.«
»Sie müssen falsch informiert sein«, entgegnete er.
»Nein, das bin ich nicht. Ihr Vater muss mir viele Fragen beantworten. Wo ist er?«
Einen Moment lang war es so still im Büro, dass sie hörte, wie er einatmete.
»Sie können doch nicht im Ernst von mir erwarten, dass ich diesen verleumderischen Anschuldigungen Glauben schenke?« , sagte Carlyle dann.
Callie griff in ihre Tasche. »Das sind Kopien der Adoptionspapiere. Sie können sie überprüfen – sie sind von keinem Gericht beglaubigt. Hier, Kopien der Honorarrechnungen, die Ihr Vater für meine Übergabe erstellte. Kopien der ersten Bluttests, durch die festgestellt wurde, dass ich die biologische Tochter von Jay und Suzanne Cullen bin, deren Baby im Dezember ’74 gestohlen wurde. Polizeiberichte«, fügte sie hinzu und legte den Stapel von Papieren auf seinen Schreibtisch. »Zeitungsausschnitte.«
»Sie sollten sie lesen«, schlug Jake vor und setzte sich. »Lassen Sie sich ruhig Zeit.«
Richards Finger zitterten leicht, als er seine goldgerahmte Lesebrille aus der Tasche zog. Wortlos blätterte er die Unterlagen durch.
»Das hier sind wohl kaum Beweise«, sagte er schließlich. »Sie beschuldigen einen Mann des Kinderhandels, der Entführung, des Betrugs.« Er setzte die Brille ab und legte sie beiseite. »Ganz gleich, welche persönlichen Probleme mein Vater und ich haben – dazu halte ich ihn nicht für fähig. Sollten Sie auf diesen Anschuldigungen beharren, werde ich gerichtliche Schritte gegen Sie einleiten.«
»Tun Sie das«, erwiderte Callie. »Ich werde erst aufhören, wenn ich die Antworten auf all meine Fragen bekommen habe. Wenn die Leute, die für das verantwortlich sind, was den Cullens und anderen Familien geschehen ist, bestraft worden sind. Wo ist Ihr Vater?«
»Ich habe meinen Vater seit mehr als fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen«, erwiderte Carlyle ärgerlich. »Und selbst wenn ich wüsste, wo er ist, würde ich es Ihnen nicht sagen. Ich werde mir diese Unterlagen anschauen, da können Sie sicher sein. Aber ich glaube nicht, dass Ihre Anschuldigungen auch nur irgendeine Grundlage haben. Sollte sich aber herausstellen, dass dies doch der Fall ist, dann werde ich tun, was ich kann, um meinen Vater zu finden und … Ich werde tun, was ich kann.«
»Jemand hat versucht, uns von der Suche nach ihm abzuhalten«, erklärte Jake ruhig. »Ich spreche von Körperverletzung und davon, dass die Kanzlei von Ms Dunbrooks Anwältin in Brand gesteckt wurde.«
»Du meine Güte, er ist neunzig.« Richard verlor sichtlich die Fassung. »Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, hat er sich gerade von einem Herzinfarkt erholt. Er ist nicht gesund und wohl kaum in der Verfassung, jemanden körperlich anzugreifen oder ein Feuer zu legen.«
»Jemand, der einen Babyhandel organisiert hat, kennt bestimmt
genug Menschen, die er für die Drecksarbeit anheuern kann.«
»Ich bin nicht der Meinung, dass mein Vater irgendetwas mit dem Kinderhandel zu tun hatte. Das sind doch nichts als Annahmen und
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