Die falsche Tochter - Roman
kannst.«
»Oh, oh, ich freue mich schon darauf!«
Er umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen und gab ihr einen Kuss. Als sie ihn weder trat noch schubste, zog er sie dichter an sich heran. Sein Kuss wurde leidenschaftlicher, und er fuhr mit den Fingern in ihre Haare. Seine Lippen waren warm und sanft, und seine Hände überredeten sie eher, als dass sie Besitz von ihr ergriffen. Callie konnte sich nicht erinnern, jemals von Jake so liebevoll geküsst worden zu sein.
»Was ist los mit dir?«, fragte sie an seinem Mund.
Er löste sich von ihr und atmete tief durch. »Wir hören jetzt besser damit auf, sonst vergesse ich noch, warum ich wütend auf dich bin. Also, wo warst du?«
Callie holte tief Luft.
»Sollen wir uns setzen?«, fragte sie. Sie ließen sich am Bachufer nieder, und dann erzählte sie ihm, wo sie am Nachmittag gewesen war und was sie in Erfahrung gebracht hatte.
17
Callie saß im Schneidersitz auf dem Boden und füllte ein Formular aus. Die Blätter und Zettel auf ihrem Klemmbrett flatterten leise im Wind. Um sie herum herrschte reges Stimmengewirr. Es war Wochenende, und etliche Amateurarchäologen und neugierige Studenten waren auf dem Gelände erschienen. Leo plante für den nächsten Monat eine Art Tag der offenen Tür, damit die Ausgrabung vor dem Ende der Saison noch mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erlangte. Die freiwilligen Hilfskräfte, die das Team dadurch hinzugewinnen würde, würden wahrscheinlich selbst mehr Arbeit machen, als dass sie wirklich nützlich wären, aber Callie war es gleichgültig, solange es dem Projekt Publizität einbrachte.
Als plötzlich ein Schatten über sie fiel, sagte sie ohne aufzuschauen: »Sie können diese Kübel zum Abraumhaufen tragen. Aber vergessen Sie nicht, sie anschließend zurückzubringen.«
»Das würde ich ja gern tun, wenn ich wüsste, was ein Abraumhaufen ist und wo er sich befindet.«
Callie schaute auf, wobei sie ihre Augen mit der Hand abschirmte. Als sie Suzanne entdeckte, zuckte sie unwillkürlich leicht zusammen. Suzanne trug eine Sonnenbrille und eine Baseball-Kappe, und Callie hatte beinahe das Gefühl, einer etwas älteren Version ihrer selbst gegenüberzustehen.
»Entschuldigung, ich dachte, du wärst eine von den Aushilfen«, sagte sie.
»Ich habe dich heute früh im Radio gehört.«
»Ja, Jake, Leo und ich wechseln uns mit den Medien ab.«
»Es klang alles so faszinierend, dass ich dachte, ich müsste endlich mal vorbeikommen und es mir selbst ansehen. Ich hoffe, das ist in Ordnung.«
»Klar.« Callie legte das Klemmbrett zur Seite und stand auf. »Und« – sie hakte ihre Daumen in die Taschen ihrer Jeans, um die Hände ruhig zu halten – »wie findest du es?«
»Ehrlich gesagt, ordentlicher, als ich es mir vorgestellt habe«, sagte Suzanne, während sie ihren Blick über das Gelände schweifen ließ. »Und voller.«
»Am Wochenende kommen immer viele freiwillige Helfer.«
»Ja, das sehe ich«, erwiderte Suzanne lächelnd und blickte zu der Stelle, wo Tyler in einem kleinen Erdhaufen grub.
»Das ist Lana Campbells kleiner Junge. Er kommt jeden Samstag. Wir geben ihm immer Erde, die wir schon durchgesiebt haben, und verstecken ein paar kleinere Fundstücke darin, von denen er welche behalten kann.«
»Jedes noch so kleine Teil, das ihr hier findet, sagt dir etwas über die Menschen, die hier gelebt haben. So habe ich es jedenfalls aus deinem Rundfunkinterview verstanden.«
»Ja, genau. Um die Vergangenheit zu verstehen, musst du sie rekonstruieren können.« Callie schwieg einen Moment lang. »Und genau das versuche ich, Suzanne«, fuhr sie schließlich fort.
»Ja, ich weiß.« Suzanne legte die Hand auf Callies Arm. »Du fühlst dich nicht wohl in meiner Gegenwart, und das ist zum Teil meine Schuld, weil ich in Lanas Büro zusammengebrochen bin. Jay hat mir einen Vortrag darüber gehalten, dass ich mich völlig falsch verhalten habe.«
»Nun, du warst verständlicherweise …«
»Du brauchst das nicht zu verstehen«, unterbrach Suzanne sie. Leise Trauer schwang in ihren Worten mit. »Jay hält nicht grundlos Vorträge – was übrigens einer der Gründe ist, warum ich mich damals in ihn verliebt habe. Aber neulich hat er mir überaus deutlich seine Meinung gesagt. Es kam ziemlich
unerwartet, aber wahrscheinlich war es genau das, was ich brauchte.«
»Für ihn ist die Situation vermutlich auch nicht einfach.«
»Nein. Das habe ich nur in all den Jahren verdrängt. Ich möchte dir sagen, dass ich
Weitere Kostenlose Bücher