Die falsche Tochter - Roman
Kirschtabak, mit dem sein Großvater nach dem Abendessen immer seine Pfeife stopfte. Die Anspannung seiner Mutter erinnerte Douglas an die schrecklichen, hilflosen Tage seiner Kindheit. Damals war alles von dieser dunklen Stimmung durchdrungen gewesen.
Sein Großvater griff nach der Fernbedienung und legte die andere Hand beruhigend auf Suzannes Schulter.
»Ich wollte den Bericht nicht verpassen«, sagte Roger und räusperte sich. »Deshalb habe ich Doug gebeten, ihn aufzunehmen.«
Er hatte Tee gekocht. Der vertraute Anblick der weißen Kanne mit den kleinen Rosenknospen hatte etwas Tröstliches für Suzanne, ebenso wie die gehäkelten Deckchen und die dünnen Sommervorhänge.
»Spiel das Video ab, Daddy.« Suzannes Stimme überschlug sich, und sie zitterte am ganzen Leib. »Bitte, spiel es ab.«
»Mom, du solltest dich nicht so aufregen …«
»Spiel es!« Sie warf ihrem Sohn einen Blick aus rot geränderten Augen zu. »Schau es dir einfach nur an.«
Roger startete das Video. Abwesend begann er, Suzannes Schulter zu massieren.
»Du musst es ein Stück vorspulen – gib mal her.« Suzanne nahm ihrem Vater die Fernbedienung aus der Hand. Als Callies Gesicht auf dem Bildschirm erschien, ließ sie das Band wieder mit normaler Geschwindigkeit laufen. »Sieh sie dir doch nur an. Oh, mein Gott!«
»Du liebe Güte«, murmelte Roger.
»Siehst du, was ich meine?« Suzanne grub ihre Fingernägel in sein Bein, wandte jedoch den Blick nicht vom Bildschirm. »Du siehst es doch. Es ist Jessica. Es ist meine Jessie.«
»Mom!« Douglas tat das Herz weh. Wie seine Mutter die Worte ausgesprochen hatte, meine Jessie ! »Es gibt eine gewisse Ähnlichkeit, aber … Himmel noch mal, Grandpa, diese Anwältin – sie könnte genauso gut Jessie sein wie diese Frau. Mom, du kannst es doch nicht wissen.«
»Doch, das kann ich!«, fuhr sie ihn an. »Sieh sie doch an! Sieh hin!« Sie hielt das Band an, als Callie lächelte. »Sie hat Jays Augen – die gleiche Farbe, die gleiche Form. Und meine Grübchen. Drei Grübchen, genau wie ich. Ma hatte sie doch auch, Daddy …«
»Ja, da ist in der Tat eine große Ähnlichkeit«, erwiderte Roger
heiser. »Die Haarfarbe, die Gesichtsform, die Züge.« Er spürte einen Kloß im Hals. »Die letzte Zeichnung …«
»Ich habe sie dabei.« Suzanne sprang auf, griff nach der Mappe, die sie mitgebracht hatte, und zog ein computergeneriertes Bild hervor. »Jessica mit fünfundzwanzig.«
Douglas erhob sich ebenfalls. »Ich dachte, du hättest damit aufgehört.«
»Ich habe niemals aufgehört.« Suzanne traten die Tränen in die Augen, aber sie unterdrückte sie mit jenem eisernen Willen, der sie jeden Tag in den letzten neunundzwanzig Jahren aufrecht gehalten hatte. »Ich habe nur nicht mehr mit dir darüber gesprochen, weil ich dich nicht beunruhigen wollte. Aber ich habe nie aufgehört, nach ihr zu suchen und daran zu glauben, dass ich sie eines Tages wieder finden werde. Sieh dir deine Schwester an.« Sie drückte Doug das Bild in die Hand. »Sieh sie an!«, befahl sie und wandte sich wieder dem Bildschirm zu.
»Um Himmels willen, Mom!« Plötzlich überwältigte Doug der Schmerz, den er all die Jahre unterdrückt hatte. Er fühlte sich völlig hilflos.
»Okay, es gibt eine gewisse Ähnlichkeit«, fuhr er fort. »Sie hat braune Augen und blonde Haare. Aber in wie vielen anderen Mädchen und Frauen hast du Jessica schon gesehen? Ich ertrage es nicht, wenn du das alles noch einmal durchmachst. Du weißt nichts über diese Frau. Du weißt nicht, wie alt sie ist und wo sie herkommt.«
»Ich werde es herausfinden.« Suzanne nahm das Bild wieder an sich und steckte es in die Mappe zurück. Ihre Hände zitterten nicht mehr. »Wenn du es nicht ertragen kannst, dann halte dich da heraus. Wie dein Vater.«
Sie wusste, dass es falsch war, ihrem Sohn Vorwürfe zu machen. Aber entweder half er ihr, oder er ließ es bleiben. Bei der Suche nach Jessica gab es für Suzanne keine Kompromisse.
»Ich werde im Internet recherchieren und dir alle Informationen beschaffen, die du brauchst«, sagte Douglas leise.
»Danke.«
»Ich setze mich hinten im Laden an meinen Laptop. Es geht ganz schnell, und falls ich etwas finde, sage ich dir sofort Bescheid.«
»Ich komme mit dir.«
»Nein.« Doug konnte genauso gut Schläge austeilen wie seine Mutter. »Wenn du so bist, kann ich nicht mit dir reden. Niemand kann das. Ich mache es besser allein.« Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verließ er den
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