Die falsche Tochter - Roman
Raum.
Roger stieß einen tiefen Seufzer aus. »Suzanne, er macht sich Sorgen um dich.«
»Um mich braucht sich niemand Sorgen zu machen. Ich brauche Unterstützung, aber es hilft mir nichts, wenn sich jemand Sorgen macht. Das ist meine Tochter. Ich weiß es einfach.«
»Vielleicht ist sie es wirklich.« Roger stand auf und streichelte Susanne liebevoll über den Arm. »Aber Doug ist genauso dein Sohn. Spring nicht so mit ihm um, Liebes! Du darfst nicht das eine Kind verstoßen, nur weil du das andere suchst.«
»Er will nicht daran glauben. Aber ich muss es.« Wieder starrte sie Callies Gesicht auf dem Bildschirm an. »Ich muss es einfach.«
Sie ist also im richtigen Alter, dachte Doug, als er noch einmal durchlas, was er bei seiner Internetrecherche herausgefunden hatte. Aber aus der Tatsache, dass Callie Dunbrook in der gleichen Woche wie Jessica Geburtstag hatte, konnte man kaum etwas schließen. Seine Mutter würde es jedoch als Beweis ansehen und alle anderen Daten ignorieren.
Für ihn sprachen die anderen Fakten allerdings Bände. Callie Dunbrook stammte aus der oberen Mittelschicht und war in einem Vorort von Philadelphia als einziges Kind von Elliot und Vivian Dunbrook aufgewachsen. Mrs Dunbrook, geborene Humphries, hatte vor ihrer Ehe die zweite Geige im Boston Symphony Orchestra gespielt. Sie, ihr Mann und ihre kleine Tochter waren nach Philadelphia gezogen, wo Elliot Dunbrook als Chirurg im Krankenhaus arbeitete.
Callie hatte als Erste aus ihrem Jahrgang den Abschluss in Carnegie Mellon und anschließend ihren Master’s Degree gemacht und erst kürzlich ihre Promotion abgeschlossen. Mit sechsundzwanzig hatte sie geheiratet, und nicht ganz zwei Jahre später war sie schon wieder geschieden worden. Keine Kinder. Als Archäologin hatte sie anschließend Karriere gemacht. Sie war Partner bei Leonard Greenbaum and Associates , Mitglied der Paläolithischen Gesellschaft und lehrte an verschiedenen Universitäten. Außerdem hatte sie bereits zahlreiche Schriften veröffentlicht. Was für Doug zugänglich war, druckte er aus, um es später durchzulesen. Er erkannte jedoch schon auf den ersten Blick, dass diese Frau ihren Beruf liebte und vermutlich brillant darin war. Und es fiel ihm schwer, in ihr das Baby zu erkennen, das mit den Beinchen gestrampelt und ihn an den Haaren gezogen hatte. Da Callie Dunbrook die Tochter wohlhabender, angesehener Eltern war, konnte es sich wohl kaum um einen Entführungsfall handeln. Aber seine Mutter würde es anders sehen, das wusste er. Sie würde nur das Geburtsdatum sehen und sonst gar nichts. Genauso wie die zahllosen Male vorher.
Manchmal, wenn er den Gedanken zuließ, fragte sich Doug, woran seine Familie zerbrochen war. War es in dem Augenblick geschehen, als Jessica verschwand? Oder lag es an der hartnäckigen Entschlossenheit seiner Mutter, sie wieder zu finden? Vielleicht war es auch in jenem Moment passiert, als Doug klar geworden war, dass seine Mutter ihn verlassen hatte, weil sie nach ihrer Tochter suchte. Jetzt würde er all das tun, was er schon zahllose Male zuvor getan hatte. Er speicherte die Dateien und schickte sie per E-Mail an seine Mutter. Dann fuhr er den Computer herunter und vergrub sich in einem Buch, um auf andere Gedanken zu kommen.
Callie liebte nichts mehr als den Moment, wenn sie mit einer Ausgrabung beginnen konnte. Man hatte ihr zwei sympathische Studenten geschickt, die einen ganz brauchbaren Eindruck machten. Außerdem hatte die Universität ein wenig
Geld beigesteuert. Als Geologin würde Rose Jordan mitarbeiten, eine Frau, die Callie sehr schätzte. Auf Leos Labor konnte sie sich verlassen, ebenso wie auf seine Hilfe als Berater. Und wenn erst einmal der Anthropologe Nick Long eingetroffen wäre, konnte eigentlich nichts mehr schief gehen.
Zusammen mit den Studenten wollte Callie die ersten Probegrabungen durchführen, und sie hatte sich bereits die zweistämmige Eiche am nordwestlichen Ufer des Teiches als Fixpunkt ausgesucht. Das war der Bezugspunkt, von dem aus man das Gelände horizontal und vertikal vermessen konnte. Den Plan, der das Gelände in Parzellen unterteilte, hatte Callie am Vorabend fertig gestellt. An diesem Tag sollten nun die Parzellen mit Seilen markiert werden, und dann würde das eigentliche Vergnügen beginnen.
Eine Kaltfront hatte die Feuchtigkeit vertrieben und die Temperaturen auf ein fast erträgliches Maß gesenkt. In der Nacht hatte es geregnet, und der Boden war weich und morastig. Callies
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