Die falsche Tochter - Roman
getan.«
»Leo, nein, verdammt noch mal! Ich habe um Nick gebeten.«
»Er ist in Südamerika. Das Projekt braucht den besten Mann, Callie, und Graystone ist der Beste.« Leo wich unwillkürlich einen Schritt zurück, als sie sich empört zu ihm umdrehte. »Das weißt du doch, Callie. Lass die persönlichen Geschichten
bitte außer Acht. Du weißt, dass er und Digger die besten sind. Die Mittel sind dir nur gewährt worden, weil ich ihn gewinnen konnte. Ich erwarte von dir, dass du dich wie ein Profi verhältst.«
»Man bekommt nicht immer, was man haben will«, knurrte Callie.
Sie beobachtete, wie Jacob Graystone aus dem Wagen sprang. Er war einen Meter siebenundachtzig groß und trug einen alten braunen Hut, unter dem seine schwarzen Haare hervorquollen, und ein schlichtes weißes T-Shirt, das er in die verwaschene Levi’s gesteckt hatte. Er hatte einen fantastischen Körper, langgliedrig und muskulös, die Haut leicht gebräunt von der Arbeit im Freien und dem Viertel Apachenblut, das durch seine Adern floss. Er drehte sich zu Callie um, und obwohl er eine Sonnenbrille trug, wusste sie, dass er wunderschöne graugrüne Augen hatte. Dann lächelte er sie an – arrogant und spöttisch zugleich. Callie hatte immer schon gefunden, dass er viel zu gut aussah. Die gerade Nase, das entschlossene Kinn mit der diagonalen Narbe. In ihren Schläfen begann es zu pochen. Automatisch führte sie ihre Hand zu der Kette um ihren Hals, um sich zu vergewissern, ob sie auch unter ihrer Bluse steckte.
»Das tut weh, Leo.«
»Ich weiß, dass es für dich keine ideale Situation ist, aber …«
»Seit wann wusstest du, dass er kommen würde?«, fragte Callie.
Leo schluckte. »Seit ein paar Tagen. Ich wollte es dir auf jeden Fall persönlich sagen. Schließlich konnte ich nicht ahnen, dass er heute schon auftaucht. Wir brauchen ihn, Callie. Das Projekt braucht ihn.«
»Scheiße, Leo.« Sie straffte ihre Schultern wie ein Boxer vor dem großen Kampf. »Das ist Scheiße.«
Jetzt stieg auch Jacobs Partner aus dem Pick-up. Stanley Digger Forbes, hundertfünfundzwanzig Pfund geballte Hässlichkeit. Callie widerstand der Versuchung, laut zu fluchen.
Stattdessen stemmte sie die Hände in die Hüften und blickte den Männern entgegen.
»Graystone«, sagte sie und nickte kurz zur Begrüßung.
»Dunbrook.« Er zog die Augenbrauen hoch. »Ach nein, du bist ja jetzt Dr. Dunbrook, nicht wahr?«
»Das ist richtig.«
»Herzlichen Glückwunsch.«
Sie blickte absichtlich an ihm vorbei. Bei Diggers Anblick verzog sie den Mund. Er grinste wie eine Hyäne und zeigte dabei einen goldenen Eckzahn. Im linken Ohr trug er einen goldenen Ring, und hinten aus seinem leuchtend roten Bandana lugte ein aschblonder, dünner Pferdeschwanz heraus.
»Hey, Dig, willkommen an Bord.«
»Callie, du siehst gut aus. Du wirst immer hübscher.«
»Danke. Du nicht.«
Er stieß sein übliches bellendes Lachen aus. »Was ist das denn für ein Mädchen mit den langen Beinen?« Er wies mit dem Kinn auf Sonya. »Ist sie zu haben?«
Trotz seines Aussehens war Digger dafür berühmt, dass er bei jeder Ausgrabung eine Schar von Groupies anzog.
»Lass die Finger von ihr, Digger«, fauchte Callie.
Er würdigte sie keiner Antwort, sondern schlenderte wortlos zu den beiden Studenten hinüber.
»Okay, beginnen wir mit dem Stand der Dinge«, setzte Callie an.
»Wie bitte?« unterbrach Jake sie. »Kein Smalltalk? Willst du gar nicht wissen, was ich gemacht habe, seit sich unsere Wege getrennt haben?«
»Es ist mir ehrlich gesagt egal, womit du deine Zeit verbracht hast. Leo ist der Meinung, dass wir dich für das Projekt brauchen.« Ihr würde bestimmt noch eine geeignete Methode einfallen, wie sie Leo umbringen könnte. »Ich teile diese Meinung nicht. Aber jetzt bist du schon mal da, und es gibt keinen Grund, darüber zu debattieren oder alte Zeiten aufzuwärmen.«
»Digger hat Recht. Du siehst gut aus.«
»Alles was Brüste hat, sieht für Digger gut aus.«
»Da kann ich nicht widersprechen.«
Tatsächlich durchfuhr es Jake allein bei Callies Anblick wie ein Stromstoß. Der vertraute Eukalyptusduft stieg ihm in die Nase. Immer, wenn er in den vergangenen Monaten das verdammte Zeug gerochen hatte, hatte er im Geiste ihr Gesicht vor sich gesehen. Sie trug immer noch dieselbe wuchtige Armbanduhr und diese hübschen Silberohrringe. Der Kragen ihrer Bluse stand offen, und er konnte sehen, dass sie schwitzte. Ihre vollen Lippen waren ungeschminkt. Jake wusste, dass
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