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Die falsche Tochter - Roman

Die falsche Tochter - Roman

Titel: Die falsche Tochter - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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Minuten in ihrem Bett gelegen, als sie auch schon wieder aufsprang und die Schachtel holte, die Suzanne ihr gegeben hatte. Kein Wunder, dass ich neugierig bin, sagte sie sich. Schließlich war das der Grund, weshalb sie großen Erfolg in ihrem Beruf hatte. Sie würde das Rätsel um ihre Vergangenheit lösen und alles wieder in Ordnung bringen.
    In der Schachtel lagen die Briefe, in schlichten weißen Umschlägen und nach Datum geordnet. Offenbar war Suzanne ein ordentlicher Mensch. Callie nahm sich vor, die Briefe zu lesen, um eine bessere Vorstellung vom Wesen dieser Frau zu bekommen. Schließlich geht es darum, Fakten zu sammeln, sagte sie sich und nahm den ersten Brief aus der Schachtel.

    Während sie den Umschlag, auf dem »Jessica« stand, öffnete, empfand sie die gleiche Vorfreude, die sie immer verspürte, wenn sie die Erde von einem Artefakt abbürstete.
     
    Meine geliebte Jessica,
    heute bist du ein Jahr alt. Ich kann kaum glauben, dass schon ein ganzes Jahr vergangen sein soll, seit ich dich zum ersten Mal im Arm hielt. Für mich ist diese Zeit immer noch wie ein Traum, verschwommen und unwirklich. Manchmal höre ich dich weinen und gehe in dein Zimmer. Oder ich spüre, wie du dich in mir bewegst, wie in der Zeit vor deiner Geburt.
    Aber dann fällt mir alles wieder ein, und ich spüre jenen Schmerz, den ich einfach nicht ertragen kann.
    Meine Mutter hat mir geraten, diesen Brief zu schreiben. Ich weiß nicht, was ich in den vergangenen Monaten ohne sie getan hätte. Wahrscheinlich kann nur eine Mutter wirklich verstehen, was ich durchmache. Dein Daddy versucht es, und ich weiß, dass er dich auch sehr vermisst, aber ich glaube nicht, dass er die gleiche Leere empfindet, jene Leere, die mir das Gefühl gibt, ich könnte im nächsten Moment zu Staub zer fallen.
    Ein Teil von mir wünscht sich, dass es so wäre, aber da ist schließlich noch dein Bruder, der arme, süße kleine Junge. Er ist so verwirrt und weiß nicht, warum du nicht mehr da bist.
    Wie soll ich es ihm erklären, wenn ich es selbst nicht verstehe?
    Ich weiß, dass wir dich eines Tages wieder finden werden, Jessie, weil wir nie, niemals aufhören werden, nach dir zu suchen. Ich bete jeden Tag, dass du eines Nachts wieder in deinem Bettchen liegst, und ich bete darum, dass es dir bis dahin gut ergehen wird. Dass du keine Angst haben musst, und dass derjenige, der dich mitgenommen hat, freundlich und liebevoll zu dir ist. Ich stelle mir vor, dass es eine Frau ist und dass sie dich so wiegt, wie ich es getan habe, und dir deine Lieblingsschla flieder vorsingt.
    Eines Tages wird dieser Frau klar werden, dass das, was sie getan hat, falsch war, und sie wird dich nach Hause bringen.

    Es tut mir so Leid, dass ich mich einen Moment lang von dir abgewandt habe. Ich schwöre dir, es war nur ein kurzer Augenblick. Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich dich nicht loslassen, und niemand könnte dich mir jemals wegnehmen.
    Wir suchen alle nach dir, Jessie. Wir alle. Mama und Daddy, Grandpa und Grandma, Nanny und Pop. Alle Nachbarn und die Polizei. Du darfst niemals glauben, dass wir dich einfach haben fortgehen lassen. Wir werden die Suche niemals aufgeben.
    Du bist hier in meinem Herzen, mein Baby, meine Jessie.
    Ich liebe dich. Ich vermisse dich.
    Mama.
     
    Callie faltete den Briefbogen sorgfältig zusammen und steckte ihn in den Umschlag zurück. Dann legte sie den Deckel auf die Schachtel und stellte sie auf den Fußboden. Als sie das Licht ausgeschaltet hatte, starrte sie im Dunkeln an die Decke und weinte aus Mitleid mit einer Frau, die sie kaum kannte.
     
    Den größten Teil des nächsten Tages verbrachte Callie mit der mühsamen Aufgabe, die Überreste der beiden Skelette freizulegen. Stundenlang arbeitete sie mit Bürsten, Zahnstochern und Zungenspatel, um die Knochen von der Erde zu befreien. Aber dieser jüngste Fund hatte ihr zumindest zwei neue studentische Hilfskräfte beschert.
    Dory Teasdale, eine langbeinige Brünette, war Fotografin. Und mit Bill McDowell, der so jung aussah, als dürfe er noch keinen Alkohol kaufen, aber bereits bei drei Ausgrabungen mitgeholfen hatte, gewann Callie einen hilfsbereiten Assistenten hinzu. Auch Dory machte einen kompetenten Eindruck, und Callie versuchte zu ignorieren, dass sie vom Typ her Veronica Weeks ähnlich sah, jener Frau, die der Auslöser für das Scheitern ihrer Ehe mit Jake gewesen war. Es spielte keine Rolle, wie Dory aussah, solange sie ihre Arbeit gut machte.
    »Wir haben

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