Die falsche Tochter - Roman
noch eine Hilfe bekommen«, ertönte in diesem
Augenblick Jakes Stimme neben Callie. Er wies mit dem Kinn auf einen schlaksigen Mann, der neben Digger stand. »Ein freier Archäologe, hat seine eigenen Werkzeuge. Er heißt Matt Kirkendal. Er hat von dem Projekt gehört und will sich uns anschließen. Anscheinend hat er eine Menge Erfahrung.«
Callie musterte den Neuankömmling. Seine grauen Haare waren zu einem langen Zopf geflochten, er trug ausgetretene Arbeitsschuhe, und unter seinem Hemdsärmel blitzte eine Tätowierung hervor. Offensichtlich hatten er und Digger sich bereits angefreundet.
»Wir können gar nicht genug Hilfskräfte haben«, sagte Callie. »Lass ihn ein paar Tage mit Digger zusammenarbeiten, dann sehen wir ja, was er leistet.«
»Das hatte ich auch vor.«
Jake beobachtete, wie sie eine Schnur zwischen zwei Nägeln befestigte, damit sie eine Skizze für den vertikalen Schnitt des Grabungsabschnitts machen konnte.
»Soll ich dir helfen?«
»Nein, ich komme schon zurecht. Was hältst du übrigens von den neuen Studenten?«
»Das Mädchen ist ein erfreulicher Anblick.« Jake befestigte mit Wäscheklammern ein Bandmaß an den Nägeln und ignorierte den Blick, den Callie ihm zuwarf. »Sie hat offensichtlich keine Angst, sich die Hände schmutzig zu machen. Der Junge scheint ziemlich eifrig zu sein – wahrscheinlich will er dich beeindrucken. Er wirft dir ständig sehnsüchtige Blicke zu.«
»Blödsinn!«
»Doch, er hat sich ernsthaft in dich verliebt. Ich kenne mich da aus.«
Aufgebracht schnaubte sie: »Sich in eine Frau zu verlieben ist etwas anderes, als sie mit Blicken auszuziehen.«
»Oh! Na gut, offenbar kenne ich mich in diesen Dingen doch nicht so gut aus«, sagte Jake und ging weiter, während sich Callie ein Grinsen nicht verkneifen konnte.
Der jüngste Fund hatte dem Ausgrabungsteam ein großes Medieninteresse eingebracht. Nachmittags gab Callie, die neben den beiden Skeletten kniete, einer Reporterin von The Washington Post ein Interview.
»Es handelt sich um ein weibliches Skelett«, erläuterte sie. »Das einer Frau zwischen zwanzig und fünfundzwanzig.«
»Woher wissen Sie ohne Labortests, wie alt sie geworden ist?«
»Wenn man etwas von Knochen versteht, kann man das Alter schätzen.« Mit einem Zungenspatel wies Callie auf die Armknochen. »Sehen Sie hier, das ist interessant. Sie hatte einen Oberarmbruch, höchstwahrscheinlich irgendwann in der Kindheit. Vermutlich im Alter zwischen zehn und zwölf Jahren. Er ist zwar verheilt, aber die Knochen sind nicht gut zusammengewachsen.«
Mit dem Zungenspatel fuhr sie leicht über die Bruchstelle. »Dieser Arm war wahrscheinlich ihr Leben lang schwächer als der andere und hat sie ziemlich beeinträchtigt. Es war ein glatter Bruch, was mir sagt, dass er eher von einem Sturz als von einem Schlag herrührt. Trotz der Verletzung war die Frau in einem guten allgemeinen Gesundheitszustand, was bedeutet, dass der Stamm sie nicht verstoßen hat. Sie haben offenbar für ihre Kranken und Verletzten gesorgt, was sich auch daran zeigt, dass sie mit ihrem Kind zusammen beerdigt worden ist.«
»Woran ist sie gestorben?«
»Da keine anderen Verletzungen zu erkennen sind und das Kinderskelett auf ein Neugeborenes hinweist, vermuten wir, dass sie und das Kind bei der Geburt gestorben sind. Sie sehen ja, man hat sie nicht nur zusammen beerdigt, sondern die Frau so hingelegt, dass sie das Kind im Arm hält. Das weist auf Mitgefühl, möglicherweise sogar Trauer hin.«
»Manche Menschen haben etwas dagegen, dass Tote zu Studienzwecken ausgegraben werden, entweder aus religiösen Gründen oder einfach nur aus der Überzeugung heraus, dass man die Totenruhe nicht stören darf. Wie stehen Sie dazu?«
»Sie sehen ja, mit welcher Sorgfalt hier gearbeitet wird. Wir
möchten die Menschen, die vor langer Zeit hier gelebt haben, nicht ignorieren, sondern etwas über sie erfahren. Das hat in meinen Augen etwas damit zu tun, dass wir sie ehren.«
»Was können Sie mir zu dem Fluch sagen?«
»Ich kann Ihnen nur sagen, dass dies hier keine Episode aus Akte X ist. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, aber ich muss mich wieder an die Arbeit machen. Vielleicht möchten Sie ja noch mit Dr. Greenbaum sprechen.«
Nachdem die Journalistin gegangen war, arbeitete Callie schweigend und konzentriert weiter. Eine Stunde später griff sie gerade nach ihrer Kamera, als Jake zu ihr herüberkam. »Was ist das?«, fragte er.
»Es sieht aus wie ein
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