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Die Falschmünzer vom Mäuseweg

Die Falschmünzer vom Mäuseweg

Titel: Die Falschmünzer vom Mäuseweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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der
15. oder 20. Brief — er hatte nicht mitgezählt — , den er gerade las.
    »Hört euch das an!«, rief er,
und die drei anderen blickten auf: der krummbeinige Fritz Zoppig, Florentine
Huber, die auch heute »auf grässlich« geschminkt war, und Otto Bruchdrexl, das
Raubvogelgesicht.
    »...muss ich dir mitteilen«,
las Gernot Plasch vor, »dass Onkel Jakob, das alte Mistvieh, endlich abgekratzt
ist. Gestern haben wir ihn auf dem Westfriedhof verscharrt, und unter den 500
Trauergästen war keiner, der nicht vor Freude am liebsten getanzt hätte. Meine
Wenigkeit inbegriffen. So hat Onkel Jakob dann doch noch erreicht, wovon er
immer träumte: Er wird allen in Erinnerung bleiben. Allerdings anders als er es
gemeint hat, nämlich als der schlimmste Menschenschinder und Halsabschneider,
der jetzt auf dem Westfriedhof in geweihter Erde liegt. Aber so ist das Leben
und, wie du siehst, manchmal auch das Ende.«
    »Finde ich gar nicht komisch«,
meinte Florentine Huber und vertiefte sich wieder in einen schmalzigen
Liebesbrief.
    Da schrieb ein »Mäuserich« an
sein »Mausilein« und machte ihr auf fünfeinhalb engbeschriebenen Seiten klar,
dass er ohne sie nicht leben könne.
    Fritz Zoppig sagte: »Ich
erwische nur Rechnungen, Mahnungen und Briefe ans Finanzamt. Ist nicht sehr
amüsant.«
    »Hier teilt Amalie Mailuft«,
sagte Otto Bruchdrexl, »ihrer Freundin Klara Altvater mit, dass sie ihren
langjährigen Verlobten nun doch — endlich — zum Ehestand überredet hat. Ratet
mal, nach wie viel Jahren Verlöbnis?«
    »Sag’s schon!«, meinte
Florentine Huber.
    »Amalie und Ekkehart — so heißt
der Glückliche — waren 47 Jahre verlobt. Sie ist jetzt 74, er müsste — aufgrund
der Angaben — drei Jahre älter sein. Und wollen heiraten! Diesem jungen Glück
sollte man Blumen schicken.«
    »Lieber einen Kranz«, meinte
Fritz Zoppig respektlos.
    Er, Bruchdrexl und die Huber
lümmelten auf zwei Matratzen herum, die den Raum — Plaschs Zimmer — neben
Feldbett, Schrank und Kofferradio recht kärglich möblierten.
    Rickemanns Posttasche lag in
der Ecke, ein Berg noch ungelesener Briefe vor dem Feldbett. Seit reichlich
zwei Stunden vergnügten sie sich mit der Lektüre fremder Briefe. Aufgerissene
Umschläge und deren zerknitterter Inhalt bedeckten den Boden.
    Den bisherigen Haupttreffer —
den einzigen — hatte Florentine Huber gezogen. Ihr war der
Geburtstagsglückwunsch einer Großmutter an ihren 14-jährigen Neffen in die
Hände geraten. Ein 50-DM-Schein war in die hübsche Karte eingeklebt. Den hatte
die Rockerbraut kassiert.
    »Pst!«, machte Bruchdrexl. »Ich
glaube, der Boss kommt.«
    Im selben Moment fiel die
Hintertür ins Schloss. Kowalskes Schritte stampften heran.
    Er war in der Stadt gewesen,
hatte eingekauft und seine blonde Lockenperücke spazieren geführt.
    Sie hörten, wie er in die Küche
ging, die Schnapsflaschen ablud und die großen Fleischportionen — vor allem
fetten Schweinebauch, den er liebte. Manchmal kochte er selbst, denn irgendwann
— vor vielen Jahren — hatte er mal eine Kochlehre begonnen, allerdings nicht zu
Ende geführt. Meistens aber wurde Florentine zum Kochen verdonnert, was sie
wenig begeisterte. Es ärgerte sie, für vier Männer kochen zu müssen. Sie
empfand das als Herabsetzung ihrer Person.
    Kowalske kam zurück. Vor der
Tür verhielten seine Schritte. Dann stieß er sie auf.
    »He! Ich denke, ihr seid
unterwegs und macht Kohle! Nanu, was ist hier los?«
    Er trug einen pelzgefütterten
Ledermantel hervorragender Qualität. Darunter allerdings war er mit einem
Uralt-Pullover voller Flecken und Löcher bekleidet. Seine abgeschabte Cordhose
wäre von jeder rechtschaffenen Kleidersammlungs-Vereinigung zurückgewiesen
worden.
    Auf seinem Ganovenschädel saß
besagte Perücke — Engelslocken in einem silberüberhauchten Ostfriesenblond.
    »Himmel, nochmal! Wo kommen die
Briefe her? Wir wohnen hier schwarz. Wir sind bei keiner Behörde gemeldet.
Wieso kriegen wir Post?«
    »Wir kriegen keine«, erwiderte
Plasch, »wir holen sie uns. Das sind Rickemanns Briefe.«
    »Häh? Ich verstehe immer
Rickemann. Das müsst ihr genauer erklären.«
    Sie erklärten es ihm, obwohl
sie nicht sicher sein konnten, dass er ihr eigenmächtiges Tun guthieß. Denn
Nutzen hatte keiner. Nur Gernot Plasch hatte seine Rachegefühle befriedigt.
    »Seid ihr übergeschnappt!«,
begann Kowalske zu brüllen. »Ist es nicht gefährlich genug, was wir tun? Und
ihr riskiert so was! Wohl Sehnsucht nach dem

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