Die Falschmünzer vom Mäuseweg
Kastanie was verloren.
Möglicherweise sucht jemand danach. Ist Ihnen irgendwer aufgefallen, jemand,
der sich so verhielt, als ob er was suche?«
»Du meinst jemanden, der hier
die Gegend durchforscht?«
Er nickte.
»Da hast du allerdings Recht,
mein Junge. Vorhin, kurz bevor ihr kamt, fiel mir ein Mann auf. Er ging suchend
umher, immer mit Blick auf den Boden. Dachte noch: Was ist denn mit dem? Ich
glaube, er ist dann in die Seitenstraße neben dem Kino gegangen.«
Tarzan spürte Schmetterlinge im
Magen.
»Könnten Sie ihn beschreiben?«,
fragte er aufgeregt.
»Na ja, meine Augen sind nicht
mehr die besten. Was ich gesehen habe... Also, etwas größer als du. Ein
kräftiger Mensch. Und elegant gekleidet. Mit Kamelhaarmantel — in Braun — und
schwarzem Hut. Aber ein derbes Gesicht, glaube ich.«
»Besten Dank!«, rief Tarzan.
»Das nützt uns.«
Als er sich abwenden wollte,
sagte die Oma: »Da ist er ja! Er kommt zurück. Dort, aus der Seitenstraße. Der
Mann im Kamelhaarmantel.«
Tarzan sah ihn sofort und seine
Augen waren besser als die der alten Frau. Trotz der Entfernung konnte er das
Gesicht deutlich erkennen.
Der Mann gehörte nicht zu den
Zeitgenossen, denen man gern im Dunkeln begegnet.
Sicherlich — gekleidet war er
wie ein Generaldirektor, der gerade aus einer wichtigen Konferenz kommt: teuer
und gediegen.
Aber das Nussknackergesicht mit
den tief liegenden Augen, der von Boxhieben verbeulten Nase und dem massigen
Kinn wollte nicht dazu passen. Aus den Ärmeln hingen ihm Hände, die man
allenfalls als Pratzen bezeichnen konnte.
Leicht gebückt, schritt er am
Gehsteig entlang. Er hielt den Kopf gesenkt. Dass er was Verlorenes suchte, war
offensichtlich.
Jetzt blieb er stehen. Mit dem
Fuß stieß er eine im Schnee liegende Zeitung beiseite. Wieder nichts.
Kopfschüttelnd schritt er weiter. Aber Spaß machte ihm das Suchen nicht. Das
sah man.
Auch Tarzans Freunde hatten ihn
bemerkt. Klößchen gestikulierte in Tarzans Richtung, als wären solche Signale
noch nötig. Er hörte erst auf, als Tarzan ihm wütend einen Vogel zeigte. Dann
erhielt Klößchen auch noch von Gaby einen Puff in die Rippen; und Karl sagte
ihm was, das von einer Schmeichelei sicherlich meilenweit entfernt war.
Den müssen wir fassen!, stand
für Tarzan fest. Aber wie?
Ein kühner Gedanke schoss ihm
durch den Kopf. Rasch überdachte er ihn. Ja, es konnte gelingen. Eine Falle.
Ohne sich um seine Freunde zu
kümmern, ging er auf den eleganten Nussknacker zu.
Der hob erst den Kopf, als
Tarzan ihm den Weg vertrat.
»Verzeihung, mein Herr.«
Die tief liegenden Augen waren
klein und böse. Ein verdrossener Zug grub Falten um den Mund.
»Was ist?«
»Kann ja sein, ich täusche
mich«, meinte Tarzan. »Aber es scheint, Sie haben was verloren.«
Ein wachsamer Ausdruck trat in
das Nussknackergesicht.
»Und wenn?«
»Vielleicht habe ich’s
gefunden.« Tarzan lächelte. Und um seine Behauptung glaubwürdig zu machen,
fügte er hinzu: »Dann stünden mir fünf Prozent Finderlohn zu.«
»Fünf Prozent? Wirklich? Na,
meinetwegen.«
Auch noch geizig sein!, dachte
Tarzan. Als käme es auf einen gefälschten Hunderter an.
»Sie haben Geld verloren, nicht
wahr?«
Der Nussknacker nickte.
»Richtig. Ein Bündel Hundertmarkscheine. Insgesamt 2000 Mark.«
»So kommen wir zusammen, mein
Herr. Ihre genauen Angaben beweisen mir, dass Sie der Verlierer sind. Und ich
bin der ehrliche Finder.«
»Sehr schön! Dann mal her mit
der Kohle!«
»Das Geld habe ich natürlich
nicht bei mir. Gefunden habe ich’s gestern schon. Dort drüben unter der
Kastanie lag’s im Schnee.«
»Wo hast du’s? Zu Hause?«
Tarzan schüttelte den Kopf.
»Abgegeben. Auf dem Fundbüro der Stadtverwaltung. Zimmer 8 im Rathaus, oder ist
es Zimmer 9? Im Moment weiß ich das gar nicht.«
»Mist, verdammter!«, knirschte
der Kerl durch die Zähne. »Was besseres ist dir wohl nicht eingefallen?«
Erstaunt riss Tarzan die Augen
auf. »Wie meinen Sie das? Was hätte ich denn sonst machen sollen? Das Geld
stillschweigend einstreichen? Freuen Sie sich doch, dass ich nicht zu der Sorte
von Findern gehöre. Und um was Verlorenes abzugeben, ist meines Wissens immer
noch das Fundbüro die einzig richtige Stelle. Dort ist jetzt geöffnet. Sie
kriegen Ihr Geld. Und, bitte, hinterlegen Sie meine fünf Prozent Finderlohn
beim Fundbüroleiter. Ich kann nämlich leider nicht mitkommen. Ich muss«, er
warf einen Blick auf die Armbanduhr und machte erschrockene
Weitere Kostenlose Bücher