Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Titel: Die Familie Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Körner
Vom Netzwerk:
südlich von Trondheim liegt. Als mein Vater in diesen Maitagen nach Hamar gekommen ist, bin ich gleich zur Hütte gefahren. Ich erinnere mich nicht mehr genau daran, was er gesagt oder erzählt hat, aber es waren harmonische Tage mit ihm und Rut. Ich hatte den Eindruck, dass er irgendwie vom Druck befreit war.«
    »Ich möchte noch einmal auf deine Mutter zurückkommen. Kannst du dich daran erinnern, wann sich deine Eltern das letzte Mal getroffen haben?«
    »Meine Eltern haben sich selten getroffen. Ich erinnere, dass meine Mutter einmal Rut und Willy auf dem Venusberg besucht hat, als sie an der Buchmesse in Frankfurt teilgenommen hatte. Vielleicht war es das letzte Mal, dass sie sich sahen.«
    Die Katze streicht um unsere Beine.
    »Kannst du mir bitte sagen, wann deine Mutter gestorben ist?«
    »Meine Mutter starb ganz unerwartet an einem Herzanfall im Juni 1980. In dieser aufwühlenden und traurigen Situation hat das Schicksal mir was sehr Schönes und Bedeutungsvolles geschenkt. Mein Vater sollte am nächsten Tag an einer Sitzung in Oslo teilnehmen, und wir wollten uns treffen. Es war fast nicht zu glauben, dass mein Vater, der so weit entfernt von mir lebte, tatsächlich in diesem Augenblick in Oslo war, als ich meine Mutter verloren hatte.«
    »Und habt ihr euch dann gesehen?«
    »Ja, es war gut. Mein Vater wohnte im Grand Hotel an der Karl Johan Gate. Ich weiß noch, wie ich überlegt habe: Wie erreiche ich ihn jetzt? Denn es war ja nie so einfach, meinen Vater zu erreichen.«
    »Ihr habt euch im Hotel getroffen?«
    »Ja, und es war tröstlich, dass er da war. Es hat gutgetan, dass er ausgerechnet an diesem Tag in Oslo war.«
    »Kannst du dich an deinen letzten Besuch bei deinem Vater in Deutschland erinnern?«
    »Ich habe meinen Vater das letzte Mal im August 1992 getroffen. Wir wussten, dass er nicht mehr lange Zeit leben würde. Ich war in dieser Zeit zweimal in Unkel, zuerst mit Knut und Janina, die für ihren Bestefar Willy ein schönes, selbstgemaltes Bild mitgebracht hatte. Ein paar Tage später habe ich ihn noch einmal alleine besucht. Ich bin mit meinem Vater im Garten runter an den Rhein spazieren gegangen. Er hat eine Rose abgebrochen und mir gegeben, und wir haben beide verstanden, dass wir uns zum letzten Mal sahen. Es war ein Abschied.«
    »Bestefar heißt …?
    »Großvater!«
    »Ninja, vielen, vielen Dank!«
    Es wird Zeit aufzubrechen.
    Ninja wirft ihren Mantel über. Es regnet nicht mehr. Die Blätter beginnen, sich herbstlich zu färben.
    »Ich bring dich zur Bushaltestelle!« Mit dem Bus geht es am schnellsten zum Flughafen.
    Wir sprechen noch dies und das. Was man so spricht, wenn man viel voneinander erfahren hat, aber sich doch eigentlich noch kaum kennt. Solche Interviews über mehrere Tage sind eigentümliche Zeitreisen. Keiner weiß, was man unterwegs findet. Es ist eine asymmetrische Beziehung, die da entsteht. Kommt einer, fragt dich aus und trägt deine Antwort mit nach Haus. Schultert dein Leben wie Gepäck und ist verschwunden. Ninja, das ist mein Eindruck, neigt nicht dazu, die Dinge komplizierter zu machen, als sie sind. Sie ist geradlinig. Sie ist warmherzig.
    »Vielleicht sieht uns mein Vater jetzt zu, da oben auf seiner Wolke.«
    Ob ihm gefiele, was er sähe?
    Der Bus biegt schwerfällig um die Ecke.
    Sie wartete, bis er abfuhr.

Im Marinesteig
    Der Waldfriedhof, auf dem sich Willy Brandt beerdigen ließ, liegt nicht weit von der Marinesiedlung entfernt, ein Katzensprung. Mit Google Maps lässt sich weiterhin feststellen, dass man mit dem Auto für die 2,5 Kilometer etwa sechs Minuten braucht, wobei man zu beachten hat, dass die Strecke über private oder gesperrte Abschnitte führt. Wie dieses Problem zu lösen ist, verrät Google nicht. Die Benzinkosten betragen 0,53 Cent. Außerdem werden zwei Alternativrouten vorgeschlagen, die jedoch länger sind. Geht man zu Fuß, benötigt man für den 2,2 Kilometer langen Weg etwa 27 Minuten, allerdings heißt es bei Google Maps, dass sich der Routenplaner für diese Strecke noch im »Beta-Stadium« befinde, was so viel heißt wie »Wir haben nicht die leiseste Ahnung, aber wir lassen es uns nicht anmerken!«
    Ja, das Leben hat sich verändert. Als die Familie Brandt 1950 in den Marinesteig zog, gab es keine digitalen Pfade und kein Handy, kaum Fernsehen, Autos waren noch nicht viele unterwegs, und die Eltern schickten ihre Kinder zum Spielen auf die Straße. Manches im Leben von Willy Brandt war dem Zufall geschuldet, aber kaum

Weitere Kostenlose Bücher