Die Familie Willy Brandt (German Edition)
denn auch meinen Teufel mitbringen?‹ Da schaute sie noch strenger als zuvor und sagte: ›Nein, den darfst du nicht mitbringen. Keinesfalls!‹ Niemand hat mich mehr dazu gebracht, in diesen Kindergarten zu gehen. Ich hatte damals einen sehr starken, teilweise auch destruktiven Willen, und da hat meine Mutter schließlich kapituliert und gesagt: ›Dann müssen wir die Zeit bis zur Schule halt irgendwie anders rumkriegen!‹ Da die ganze Siedlung von Kindern wimmelte, war das kein großes Problem. Meine Mutter musste nur die Verandatür öffnen, schon war man weg und mit anderen zusammen.«
Zurück an Mutters Hand in die Marinesiedlung, wo auch ich auf meinem Spaziergang endlich angekommen bin. Die Siedlung ist ein lupenreines Kriegskind. Erbaut wurde sie von 1938 bis 1943 und sollte dazu dienen, höheren Diensträngen der Marine komfortablen Wohn- und Erholungsraum zu bieten. Die heute denkmalgeschützte Siedlung war auch damals schon ein friedlich abgeschiedener Winkel am Rande der großen Stadt. Berlin mochte untergehen, brennen und in Trümmern liegen, hier draußen konnte man sich der Illusion hingeben, Stadt, Land, Schicksal seien nicht in Stücke zerschlagen. So stehen sie da, die zweigeschossigen Häuser. Erbaut für Männer, die es schwer haben, die ins feindliche Leben ziehen, Befehle geben, Kanonen abfeuern lassen und Torpedos auf die Reise schicken. Männer, die Schiffeversenken nicht als Spiel, sondern als Beruf begriffen.
Nach dem Krieg wurde die Siedlung abgerüstet. Andere Männer kamen, neue Familien zogen ein. Ein Jugendfreund von Peter Brandt erinnert sich, dass die Männer in dieser Siedlung aussahen, als ob sie »jeden Tag mit Ärmelschonern und weißen Kragen ins Büro gingen«. Die Familie Brandt – bestehend aus Rut und Willy Brandt, Peter, der Haushälterin Martha Litzl und der wohlgetrimmten Pudeldame »Blackie« – zog Anfang 1950 in den Marinesteig 9, wo zuvor der Fregattenkapitän Johannes Priemer gewohnt hatte. Fünf Jahre später, mittlerweile war der zweite Sohn Lars Andreas Brandt (3. Juni 1951) zur Welt gekommen, zog die Familie in das größere Haus mit der Nummer 14, wo seit 2003 eine Gedenktafel daran erinnert, dass hier der Regierende Bürgermeister von Berlin von 1955 bis 1964 gewohnt hatte.
Peter Brandt, Rut Brandt und Ninja Frahm, Sommer 1951 in Berlin
[Ninja Frahm/privat]
Nun zog Willy Brandt sicher nicht in den Krieg, aber mit Ärmelschonern ging er auch nicht durchs Leben. Sowohl die Berliner SPD als auch die Bundespartei wiesen ihn lange zurück, schenkten ihm kein Vertrauen und brachten ihn an den Rand der Verzweiflung. Im Kampf um Macht und Einfluss in der Berliner SPD war der vierschrötige und beinharte Traditionalist Franz Neumann sein schärfster Gegner, der vor kaum einem Mittel zurückschreckte, um Brandt kleinzuhalten. Neumann, von 1946 bis 1958 Vorsitzender der Berliner SPD, war ein echter Parteiheld (was er auch gerne durchblicken ließ). Er war im »Dritten Reich« von der Gestapo gefoltert worden und hatte widerstanden. Nach dem Krieg kämpfte der bullige Mann an vorderster Front gegen die Zwangsvereinigung von SPD und KPD. Neumann, ein gelernter Metallarbeiter, der sein Image als Malocher einzusetzen wusste, war ein Krieger im Dienst der Partei. Und Brandt war in seinen Augen bloß ein smarter Karrierist. Neumann ließ seinen Gegenspieler ausspionieren, versuchte, belastende Informationen über ihn zu beschaffen, speiste den politischen Gegner und die Presse mit Anti-Brandt-Munition und denunzierte ihn in den eigenen Reihen. Und Brandt musste dagegenhalten. Er warb, stritt, ging auf die Ochsentour. Bier, Kognak, Schnaps, Whisky, auch das waren Waffen im Kampf um die Köpfe, speckige Tresen, rauchgeschwängerte Hinterzimmer, auch an diesen Fronten musste geworben und gekämpft werden, und das auch von seiner Seite mit harten Bandagen.
Zwar wird er im August 1949 Mitglied des ersten Deutschen Bundestages, doch da er zwischen Bonn und Berlin pendelt, kommt er weder hier noch da so recht voran. Im Dezember 1949 wird er Kreisvorsitzender im Bezirk Wilmersdorf, ein Jahr später wählt man ihn ins Berliner Abgeordnetenhaus. Zwei Jahre darauf, 1952, kandidiert er erstmals für das Amt des Landesvorsitzenden der Berliner SPD und tritt gegen Franz Neumann an. Er holt sich eine blutige Nase.
Bei seinem zweiten Versuch, Neumann als Landesvorsitzenden abzulösen, scheitert er im Mai 1954 knapp, aber er scheitert. Weitaus schmerzhafter ist die deutliche
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