Die Familie Willy Brandt (German Edition)
ob es unbescheiden klänge, an einer Stelle »ich« zu sagen, wo man doch eher erwartet, dass das »Ich« allein und ohne »Herren« bliebe.
Nachdem Brandt die Erfahrung gemacht hatte, dass Liebesbriefe in den falschen Händen zu zerstörerischen Werkzeugen werden können – die Veröffentlichung der Briefe an Susanne Sievers hatte 1961 fast zum Bruch der Ehe mit Rut geführt, die sich vor den Augen der Öffentlichkeit gedemütigt und hintergangen sah –, war er vorsichtig geworden; auf dem Papier mochte er sich nicht mehr in vergleichbarer Weise öffnen, das distanzierende »Sie« regiert, obschon das »Du« längst Alltag ist zwischen den beiden. Bei diesen Manövern der Seriosität half ihm wohl auch das Amt des Bundeskanzlers, denn dieses verlangte Würde, Maß und Beherrschung. Sosehr also die Kleeblätter zum Herzen sprechen, so sehr wacht doch der Adler im Kopf über den Mann und seine Gefühle. Nur wenige Journalisten, eine Handvoll Mitarbeiter im Kanzleramt und Vertraute wie der österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky wissen um Brandts Verhältnis zu Heli Ihlefeld. Bruno Kreisky lässt die Journalistin auch deutlich spüren, dass er, weil er Rut von Herzen zugetan ist, die Beziehung missbilligt. Er ist auffällig kühl, als sie sich am Rande eines privaten Treffens mit Brandt begegnen. Die Fahrt zu diesem Treffen nach Schlangenbad erinnert sie genau. Eine surrealistische Kulisse im Dezember 1973. Ölkrise, schockhaftes Innewerden von wirtschaftlichen Abhängigkeiten, der Slogan »Energiesparen: Unsere beste Energiequelle« kommt auf. Die Bundesregierung unter Kanzler Willy Brandt verhängt an vier Sonntagen im November und Dezember ein Fahrverbot. Und so ist die Autobahn irritierend leer, als Heli Ihlefeld mit einer Sondergenehmigung aus dem Kanzleramt von Bonn Richtung Hessen zu ihrem Rendezvous fährt.
Der Spiegel-Journalist Hermann Schreiber, der einige der besten Porträts über Brandt geschrieben hat, wusste um die Verbindung seiner Kollegin, er ist bis heute mit ihr befreundet. Als der Regisseur und Autor Oliver Storz das zweiteilige Doku-Drama im »Schatten der Macht« schreibt und inszeniert – es wird im Herbst 2003 in der ARD ausgestrahlt und verhilft Matthias Brandt in der Rolle als Günter Guillaume zum Durchbruch –, ist Hermann Schreiber als Berater und historischer Kronzeuge dabei. Ich greife zu einem frag-würdigen, zweifels-reichen Mittel. Ich benutze den Film, um mir die Wirklichkeit aufzuschließen, ich schreibe einen Dialog zwischen dem Kanzler (Michael Mendl) und seiner namenlosen Geliebten (Ann-Kathrin Kramer) ab und versuche, mir den von Oliver Storz geschriebenen Dialog als Brandt-Ihlefeld-Wortwechsel vorzustellen. Dunkles Hotelzimmer, blaues Licht, draußen regnet es heftig, Klavier und Saxophon zerreißen Herzen. Auf dem Bett die Geliebte, in weißer Unterwäsche, weißes, leicht zerwühltes Bettzeug. Der Kanzler im weißen, oben geöffneten, eher doch schon wieder verschlossenen Hemd, denn die Stimmung ist Abschied, ist post festum, ist Melancholie und Leben auf Halbmast. Sie liegt, er sitzt.
Er: Halbdunkle Hotelzimmer, stundenweise, die Leibwache draußen auf dem Korridor. Mehr hab ich nie zu bieten gehabt …
Sie: Das ist es nicht, du weißt, dass es das nicht ist. Das ist der Mantel …
Er: Was für ein Mantel?
Sie: Aus Einsamkeit, dein Schutzanzug, du ziehst ihn nie aus, und wenn wir im Garten Eden wären, du hättest ihn an.
Er: Ich kann nicht anders (Seufzer). Man sagt mir nach, ich sei ein Frauenmann, sie mögen mich, sie wählen mich, aber wenn es um eine Einzelne geht, um die Einzige, dann kommt die Fremdheit …
Sie: Ich weiß … Du bist alles andere als weltfremd, du bist ein Fremder in der Welt.
Er: Schon als junger Kerl, damals in der Nacht in der ich abgehauen bin im Fischkutter nach Dänemark, ich hab nicht das Gefühl gehabt, dass ich die Heimat verlasse, ich bin nur von einem Exil ins andere gegangen.
Sie: Weißt du, wann ich mich in dich verliebt habe? (Er horcht auf, gesteigerte Aufmerksamkeit) Als du da gekniet hast, da am Mahnmal in Warschau im Ghetto, die vielen Menschen drumherum, Polen, Deutsche, Diplomaten, Journalisten, und einer kniet … ein Fremder in der Welt.
Lebewohl, ich werde nicht aufhören, dich zu lieben.
Cut
Einen Abschied wie diesen, einen Moment, der historische und emotionale Augenblicke so dicht verwoben zur Sprache bringt und mythisch überhöht, hat es zwischen dem schweigsamen Willy Brandt und Heli
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