Die Farbe der Gier
van Gogh?
Die Frau neben Fenston trug einen grauen Hosenanzug.
Anonymität war ihr größtes Plus. Sie hatte Fenston noch nie aufgesucht, weder in seinem Büro noch in seiner Wohnung, obwohl sie ihn seit beinahe 20 Jahren kannte. Das erste Mal hatte sie Nicu Munteanu getroffen, als er noch der Kofferträger für Präsident Nicolae Ceauceşcu war.
Fenstons größte Verantwortung während Ceauceşcus
Herrschaft war es gewesen, riesige Geldsummen auf zahllose Bankkonten in aller Welt zu verteilen – Schmiergelder für die loyalen Gefolgsleute des Diktators. Wenn sie nicht länger loyal waren, wurden sie von der Frau, die jetzt neben Fenston saß, eliminiert, woraufhin Munteanu alias Fenston ihre eingefrorenen Guthaben neu verteilte. Fenstons Spezialität war die Geldwäsche, an Orten so weit entfernt wie den Cook Inseln und so nah an zu Hause wie der Schweiz, Die Spezialität der Frau war das Töten – und ihr Lieblingsinstrument war das Küchenmesser, das man in jeder Stadt in einem
Haushaltswarenladen kaufen konnte und für das man, anders als bei einer Waffe, keine Genehmigung benötigte.
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Beide wussten – buchstäblich –, wo die Leichen des anderen vergraben waren.
1985 beschloss Ceauceşcu, seinen privaten Bankier nach New York zu schicken, um für ihn eine Zweigstelle zu eröffnen. In den darauf folgenden vier Jahren verlor Fenston den Kontakt zu der Frau, die jetzt neben ihm saß, bis Ceauceşcu 1989 am Weihnachtstag hingerichtet wurde. Zu denjenigen, die diesem Schicksal entgingen, gehörte Olga Krantz, die sieben Grenzen überquerte, bevor sie Mexiko erreichte. Von dort aus gelangte sie nach Amerika als eine der zahllosen illegalen Einwanderer, die kein Arbeitslosengeld empfingen und von Barzahlungen skrupelloser Arbeitgeber lebten. Nun saß sie neben ihrem Arbeitgeber.
Fenston gehörte zu den wenigen noch lebenden Menschen, die die wahre Identität der Krantz kannten. Er hatte sie als 14-jährige im Fernsehen gesehen; damals hatte sie Rumänien bei einem internationalen Gymnastikwettbewerb gegen die Sowjetunion vertreten.
Olga Krantz wurde Zweite nach ihrer Mannschaftskollegin Mara Moldoveanu und die Presse tippte schon, dass sie bei den nächsten Olympischen Spielen Gold und Silber gewinnen würden. Leider trat keine von beiden die Reise nach Moskau an.
Moldoveanu starb unter tragischen, unvorhersehbaren Umständen, als sie bei einem doppelten Überschlag vom Barren fiel und sich den Hals brach. Olga Krantz war damals der einzige andere Mensch in der Sporthalle gewesen. Sie gelobte, Mara zu Ehren die Goldmedaille zu gewinnen.
Der nächste Auftritt von Olga Krantz war weitaus weniger dramatisch. Sie riss sich eine Sehne bei einer Aufwärmübung am Boden, nur wenige Tage, bevor die Teilnehmerinnen für die Olympiamannschaft ausgewählt wurden. Olga wusste, man würde ihr keine zweite Chance geben. Wie alle Sportler, die es nicht ganz nach oben schafften, verschwand ihr Name rasch aus den Schlagzeilen. Fenston hatte angenommen, nie wieder von 173
ihr zu hören, bis er eines Morgens glaubte, sie aus Ceauceşcus Privatbüro kommen zu sehen. Die kleine, sehnige Frau mochte etwas älter geworden sein, aber sie hatte nichts von ihren agilen Bewegungen verloren und niemand konnte diese stahlgrauen Augen vergessen.
Ein paar gezielte Fragen und Fenston hatte erfahren, dass Krantz mittlerweile Ceauceşcus persönliche Sicherheitstruppe leitete. Ihre besondere Verantwortung: ausgewählte Knochen all jener zu brechen, die den Unmut des Diktators oder seiner Frau hervorriefen.
Wie alle Sportler wollte die Krantz die Nummer eins in ihrer Disziplin sein. Nachdem sie alle Übungen in ihrem Pflichtprogramm perfektioniert hatte – gebrochene Arme, gebrochene Beine, gebrochene Halswirbel –, ging sie zum Kürprogramm über: durchschnittene Kehlen – eine Disziplin, in der ihr niemand die Goldmedaille streitig machen konnte. Viele Stunden hingebungsvollen Trainings hatten sie zur Meisterin gemacht. Während andere am Samstagnachmittag Fußball spielten oder fernsahen, verbrachte die Krantz ihre Zeit in einem Schlachthaus am Stadtrand von Bukarest, wo sie Lämmern und Kälbern die Kehlen durchschnitt. Ihr olympischer Rekord waren 42 Kehlen in einer Stunde. Keiner der Schlachter kam auch nur ins Finale.
Ceauceşcu hatte sie gut bezahlt. Fenston bezahlte sie noch besser. Die Arbeitsbedingungen von Olga Krantz waren einfach.
Sie musste Tag und Nacht zur Verfügung stehen und durfte für niemand anderen
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