Die Farbe der Gier
kann einfach nicht herausfinden, wer es ist.«
»Vielleicht bin ich gar nicht mehr in London, wenn diese Person eintrifft.«
»Wo wirst du sein?«
»Ich gehe heim.«
»Ist das Gemälde in Sicherheit?«
»Wie in Abrahams Schoß.«
»Gut. Aber da ist noch etwas, was du wissen solltest.«
»Das wäre?«
»Fenston nimmt heute Nachmittag an deiner Beerdigung teil.«
Die Leitung wurde unterbrochen. 52 Sekunden.
Anna legte den Hörer auf. Sie machte sich große Sorgen, weil sie Tina dermaßen in Gefahr brachte. Was würde Fenston tun, wenn er herausfand, warum Anna ihm immer einen Schritt voraus war?
169
»Wollen Sie Gepäck aufgeben?«, fragte die Frau am Schalter.
Anna hob die rote Kiste vom Gepäckwagen und legte sie auf die Waage. Dann stellte sie ihren Koffer daneben.
»Sie haben ziemliches Übergewicht«, meinte die Frau. »Ich fürchte, das macht einen Zuschlag von 32 Pfund.« Anna nahm das Geld aus ihrer Geldbörse, während die Frau einen Gepäckschein an ihrem Koffer anbrachte und einen großen
›Zerbrechlich‹-Aufkleber auf der roten Kiste. »Gate 43«, sagte sie und reichte Anna das Ticket.
»Sie können in etwa 30 Minuten an Bord. Einen schönen Flug.«
Wen Fenston auch immer nach London schickte, um Anna aufzuspüren, er würde erst landen, wenn sie schon lange abgeflogen war. Aber Anna wusste, dass man ihren Bericht nur sorgfältig zu lesen brauchte, um herauszufinden, wo das Gemälde enden würde. Sie musste einfach dafür sorgen, dass sie als Erste ankam. Doch zuerst musste sie jemanden anrufen, mit dem sie seit über zehn Jahren nicht gesprochen hatte, um zu sagen, dass sie auf dem Weg war. Anna fuhr mit der Rolltreppe in den ersten Stock und stellte sich in die lange Warteschlange vor der Sicherheitskontrolle.
»Jetzt ist sie auf dem Weg zu Gate 43«, sagte eine Stimme.
»Sie fliegt mit BA 272 um 20 Uhr 44 nach Bukarest …«
Fenston quetschte sich in eine lange Reihe von Würdenträgern, während Präsident Bush und Bürgermeister Giuliani ausgewählten Repräsentanten die Hände schüttelten. Sie nahmen alle an einem Trauergottesdienst am Ground Zero teil.
Fenston blieb in der Nähe, bis der Helikopter des Präsidenten abgehoben hatte, dann ging er zu den anderen Trauernden. Er nahm seinen Platz am Rand der Menge ein und hörte zu, wie die 170
Namen verlesen wurden. Nach jedem Namen wurde eine Glocke angeschlagen.
Greg Abbot.
Fenston sah sich in der Menge um.
Kelly Gullickson.
Er studierte die Gesichter der Angehörigen und Freunde, die sich in Erinnerung an die Menschen, die sie geliebt hatten, eingefunden hatten.
Anna Petrescu.
Fenston wusste, dass Petrescus Mutter in Bukarest lebte und nicht zum Trauergottesdienst angereist war. Er sah sich die Fremden an, die sich zusammendrängten, und fragte sich, wer von ihnen Onkel George aus Danville, Illinois, war.
Rebecca Rangere.
Er sah zu Tina hinüber. Tränen füllten ihre Augen. Sicher nicht für die Petrescu.
Brulio Real Polanco.
Der Priester neigte den Kopf. Er sprach ein Gebet, dann schlug er die Bibel zu und machte das Zeichen des Kreuzes. »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes«, deklamierte er.
»Amen«, erwiderten die Anwesenden unisono.
Tina blickte zu Fenston. Er vergoss keine einzige Träne, sie sah nur die vertraute Bewegung von einem Fuß auf den anderen –
Zeichen dafür, dass er sich langweilte. Während die anderen in kleinen Gruppen beisammen standen, Erinnerungen
austauschten, ihr Mitgefühl aussprachen und ihren Respekt zollten, zog Fenston ab, ohne irgendjemandem sein Beileid zu bekunden. Niemand schloss sich dem Vorsitzenden an, als er zielgerichtet auf seine wartende Limousine zuschritt.
171
Tina blieb in einer kleinen Gruppe von Trauernden stehen, den Blick fest auf Fenston gerichtet. Sein Chauffeur hielt ihm den hinteren Wagenschlag auf. Fenston stieg in das Auto und setzte sich neben eine Frau, die Tina noch nie zuvor gesehen hatte.
Keiner sagte ein Wort, bis der Chauffeur auf seinem Platz saß und den Knopf am Armaturenbrett drückte, damit die Rauchglasscheibe hinter ihm hochfuhr. Ohne Verzögerung fuhr der Wagen auf die Straße und fädelte sich in den Mittagsverkehr ein. Tina wartete, bis der Vorsitzende außer Sichtweite war. Sie hoffte, Anna würde bald wieder anrufen – es gab so viel zu erzählen. Jetzt musste sie nur noch herausfinden, wer die Frau im Auto war. Sprachen sie über Anna? Hatte Tina ihre Freundin unnötig in Gefahr gebracht? Und: Wo war der
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