Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Farbe der Liebe

Die Farbe der Liebe

Titel: Die Farbe der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vina Jackson
Vom Netzwerk:
umschauen, als jemand sie von vorn ansprach, über ihren Bücherwall hinweg, hinter dem sie Abgeschiedenheit gesucht hatte. Einen Augenblick lang war sie verwirrt – sie fühlte sich von zwei Seiten belagert.
    Instinktiv sog sie die Luft ein. Duftete es etwa nach Granatäpfeln? Nein, sie roch gar nichts. Aber ihre Lippen fühlten sich irgendwie feucht an, und sie leckte mit der Zunge darüber.
    »Gutes Buch, nicht?«
    Sie schob ihren Stapel ein wenig auseinander, um zu sehen, wer da sprach.
    Es war ein junger Mann Mitte zwanzig. Hellbraunes Haar, Ponyfrisur, dunkle Hornbrille, auffallend abstehende Ohren und üppig wuchernde Koteletten, die sich halb bis zum Kinn hinunterzogen. Zarte Sommersprossen sprenkelten seinen Nasenrücken und die ausgeprägten Wangenknochen, die jedes Mädchen neidisch machen konnten.
    Sein Anblick erinnerte Aurelia an ihre Schullektüre von Mark Twain. So in etwa hätte sie sich Tom Sawyer als jungen Mann vorgestellt. Sie musste unwillkürlich lächeln.
    »Ich habe gerade erst damit angefangen«, sagte sie.
    »Ach! Du bist Engländerin!«, rief er überrascht und zeigte dabei perlweiße Zähne.
    Aurelia runzelte die Stirn. »Ist das so offensichtlich?«
    Er grinste breit, und seine Augen strahlten.
    »Toller Roman«, fuhr er fort. »Ich kann dich nur darum beneiden, dass du ihn zum ersten Mal liest.«
    »Warum?«, fragte Aurelia.
    »Ach, ich will dir nicht die Spannung nehmen. Lies ihn zu Ende, dann weißt du, was ich meine.«
    »Okay.«
    »Ich heiße Huck«, stellte er sich vor.
    Aurelia platzte fast vor Lachen.
    »Jetzt sag bloß noch, Huck Finn?«
    »Nein. Huck Johnson …«
    Sie stellte sich ihrerseits vor.
    Er stammte aus dem Mittleren Westen, und es war sein zweites Studienjahr in Berkeley, wo er den Master in Anthropologie machen wollte. Seine Eltern waren beide Ärzte. Die dicken Bücher, die er vor sich auf den Tisch gepackt hatte, waren alles Lehrbücher. Aber er liebe die moderne Literatur, erzählte er ihr. Er arbeite sogar an einem Roman, gestand er ihr, und träume davon, eines Tages ein berühmter Schriftsteller zu werden.
    »Den würde ich gern mal lesen«, meinte Aurelia.
    »Ach, so weit ist er noch längst nicht.« Er senkte den Blick, als wäre ihm das Thema peinlich. »Und was machst du hier?«, fragte er etwas linkisch.
    Eine halbe Stunde später schlug Huck ihr vor, mit ihm einen Kaffee trinken zu gehen. Im Untergeschoss der Bibliothek gebe es eine recht ordentliche Cafeteria. Aurelia nahm die Einladung an.
    Als er aufstand, stellte Aurelia überrascht fest, dass er mindestens einen halben Kopf größer war als sie, sicherlich über einen Meter neunzig.
    Sogleich wurmte es sie wieder, dass sie noch nicht einmal wusste, wie groß der Mann in der Kapelle in Bristol gewesen war, und schon verkrampfte sich ihr Magen. Bei miserablem Kaffee, aber halbwegs genießbarem Kuchen versuchte sie sich vorzustellen, was sich wohl unter Hucks lockerem Holzfällerhemd und der ausgebeulten Jeans verbarg. Er sah jünger aus, als es seinem Alter entsprach, was sie überhaupt nicht anmachte. Aber ihr waren nicht die begehrlichen Blicke entgangen, mit denen er ihre Beine betrachtet hatte, als sie in der Bibliothek aufgestanden war. Auch jetzt, als sie in der Cafeteria nebeneinandersaßen, wurden seine Augen von ihren Beinen magisch angezogen.
    Wie unabsichtlich ließ sie den Rock immer mal wieder höher rutschen, sodass er ihr weißes Höschen sehen konnte, und zog ihn dann herunter. Er war ein dankbares Opfer für dieses amüsante Spielchen. Früher hatte Aurelia für derart billige Tricks nur Verachtung übriggehabt, aber die neue Aurelia, die mit dem verrückten Herz-Tattoo, fand Gefallen daran. Sie genoss ihre neu entdeckte Macht. Waren etwa alle Männer so leicht scharfzumachen?
    Huck hatte derzeit nur einen Schlafplatz auf der Couch eines Freundes in Haight-Ashbury, er wartete darauf, dass eine Bude frei wurde, die näher am Campus lag. Aurelias Zimmer über dem Ballettstudio kam nicht infrage. Also beschlossen sie, ein Motelzimmer zu nehmen und sich die Kosten zu teilen.
    Das klapprige japanische Auto des jungen Mannes war total vermüllt: ungewaschene Klamotten, die er seit Ewigkeiten in den Waschsalon bringen wollte, Verpackungen von Schokoriegeln, alte Zeitschriften und Zeitungen, leere Kaffeebecher. Hastig räumte er den Beifahrersitz für Aurelia frei. Sie brachte ihre langen Beine geradeso unter, und dann brausten sie in Richtung eines Motels davon, das er zu kennen behauptete.

Weitere Kostenlose Bücher