Die Farbe der See (German Edition)
irgendwo eine Anlasserkurbel für ihn geben, mit der man die leere Batterie zum Starten umgehen konnte. Aber die musste er in der heillosen Unordnung unter Deck erst einmal finden. Und ein paar Eimer Wasser und eine kurze Attacke mit dem Schrubber würden dem Oberdeck sicher auch nicht schaden.
»Wie heißt die Dame eigentlich?«, fragte Ole und klopfte gegen das Holz des Cockpitsülls. »Der Name steht am Heck.«
Vorhin, als er auf dem Steg gekniet und in aller Eile die Festmacher losgeworfen hatte, waren ihm die Buchstaben aufgefallen. Aber er hatte sich nicht die Zeit genommen, sie tatsächlich zu lesen.
Lina beugte sich über das kanuförmige Heck und sah nach unten auf den Rumpf.
»Sie heißt Lotten «, sagte sie, als sie wieder hochkam.
Noch ein Frauenname mit »L«, ging es Ole beinahe sofort durch den Kopf. Es schien da einen gewissen Zufall in seinem Leben zu geben … eine Lydia … eine Lina … jetzt eine Lotten.
Dann fiel ihm der seltsame Blick auf, mit dem Lina ihn ansah.
»Du weißt nicht, was das heißt, stimmt’s?«, fragte sie leise.
Ole schüttelte den Kopf.
»Lotten bedeutet Schicksal!«
Wie Ole erwartet hatte, frischte unterwegs der Wind auf gute 4 bis 5 Beaufort auf. Aber er wehte aus der richtigen Richtung und bescherte ihnen eine schnelle Passage.
Dennoch war es alles andere als ein entspannter Segeltörn.
Die Pläne, die unten in der Kabine in Linas Rucksack lagen, würden den Krieg beeinflussen. In die eine oder andere Richtung. Mehrere Menschen hatten bereits ihr Leben dafür gelassen. Hülsmeyer, Rausch, Sønstebye, drei seiner norwegischen Freunde. Und Zehntausende mehr würden sterben, wenn es ihnen nicht gelang, sie in Sicherheit zu bringen. Oder in die richtigen Hände zu legen.
»Stimmt es eigentlich, was Strasser gesagt hat?«, fragte Ole nach einer Weile. »Dass ihr die Pläne nach Amerika schaffen wolltet, der Professor und du?«
»Zu Alfred Loomis, ja. Er wird die ganze Angelegenheit in seine Obhut nehmen.«
Ole erinnerte sich an den schweren, rotgesichtigen Amerikaner, den er in jener Nacht zusammen mit Hülsmeyer, Sønstebye und von Wellersdorff auf der Lydia gesehen hatte. Mehrfacher Millionär, hatte es über ihn geheißen, und Besitzer einer der größten Waffenfabriken der Vereinigten Staaten.
»Und wie sollten die Dokumente zu ihm kommen?«
»Über England.«
Lina schien einen Augenblick überlegen zu müssen, wie sie die Sache erklären konnte.
»Vielleicht hast du davon gehört, dass die norwegische Königsfamilie nach der Invasion ins Exil geflohen ist?«
Ole schüttelte den Kopf. Politische Zusammenhänge hatten ihn nie wirklich interessiert. Erst recht nicht, seit die Nachrichten zu Hause sich auf derart unappetitliche Art und Weise in den Blitzerfolgen der Wehrmacht ergingen.
Das Einzige, wofür Ole sich immer interessierte hatte, war das Segeln. Und so wusste er nur, dass Kronprinz Olav von Norwegen ein begnadeter Segler war, der 1928 bei den Olympischen Spielen in Amsterdam eine Goldmedaille gewonnen hatte. Und dass seine siegreiche 6-Meter-R-Yacht Ragnhild den Namen seiner ersten Tochter trug, die kurz zuvor geboren worden war.
»Kronprinzessin Martha und die Enkelkinder des Königs befinden sich in der Obhut unseres Königs Oscar in Stockholm«, erklärte Lina weiter. »König Haakon und Kronprinz Olav hingegen sind nach London geflohen und haben dort eine Exilregierung gebildet.«
»Tut mir leid, davon weiß ich nichts«, antwortete Ole.
»Hm, auch egal! Es gibt jedenfalls einige Leute, die trotz der Besatzung Kontakt zu dieser Exilregierung halten. Frederik und Tore haben mit ihnen zusammengearbeitet, als sie Leute über die Grenze nach Schweden geschafft haben.«
Ole erinnerte sich, dass der Konteradmiral davon gesprochen hatte.
Lina fuhr fort: »Momentan halten sich immer noch einige Mitglieder des Königshauses in Norwegen versteckt. In ein paar Tagen sollen sie über die Grenze geschleust werden und in der Nähe von Strömstadt an Bord eines britischen U-Bootes gehen, das sie ebenfalls nach England bringt.«
»Was?«
Die Idee, ein feindliches U-Boot sollte durch das komplett von deutschen Verbänden kontrollierte Skagerrak hindurch bis vor die schwedische Küste tauchen und dort Passagiere aufnehmen, klang für Ole reichlich bizarr.
Plötzlich musste er an Nils denken. Hoffentlich wurde sein Bruder an Bord seiner U-102 nicht auch auf solche Himmelfahrtskommandos geschickt!
»Ich weiß, das klingt alles ein bisschen verrückt«,
Weitere Kostenlose Bücher