Die Farbe der See (German Edition)
sagte Lina und holte Ole damit aus seinen Gedanken zurück. »Aber im Moment scheint das die sicherste Möglichkeit eines Transportes zu sein. Unser Plan war, die Dokumente an Bord dieses U-Bootes zu schaffen. Es könnte nach wie vor klappen.«
»Wann findet der Transport statt?«
»Das hängt davon ab, wann die Passagiere über die Grenze geschleust werden können. Um das zu erfahren, müssen Sigur und ich einen Kontaktmann treffen. Ein Norweger, der in Smögen lebt und ebenfalls im Widerstand aktiv ist.«
»Und wann?«
»In zwei Tagen!«
Ole nickte. Bis nach Smögen waren es nur vierzig Meilen. Das war auch an einem Tag zu schaffen.
Vorausgesetzt, sie kreuzten nicht den Kurs von Richard an Bord des Schnellbootes!
Es war noch nicht einmal acht Uhr morgens, als sie nach guten 18 Seemeilen die Segel einholten und unter Motor das letzte Stück auf Käringön zusteuerten. Den kleinen zweizylindrigen Benzinmotor hatte Ole, nachdem er die Zündkerzen gereinigt und ein paar Kontakte geölt hatte, mit ein paar herzhaften Tritten in den Schwunghebel zur Arbeit überreden können. Nun protestierte und spuckte er zwar noch und setzte hin und wieder einen Kolbenschlag lang aus, aber das war nach so langer Zeit außer Betrieb eigentlich nicht anders zu erwarten.
Sie umrundeten die letzten vorgelagerten Schären und tuckerten auf den kleine Hafen der Insel zu. Die Stege und der Platz für die Netze lagen wie ausgestorben da. Ebenso die umliegenden Häuser.
Auch Lasse schien noch nicht zurück zu sein. Der Liegeplatz seines Kutters war leer. Auch die anderen Fischereifahrzeuge, die auf der Insel beheimatet waren, fehlten. Nur ein paar kleinere Ruderboote lagen noch im Hafen.
Ole brachte die Lotten längsseits an einem der wackeligen Holzstege zum Stehen. Lina sprang mit der Vorleine an Land und belegte sie auf einem Poller, dann nahm sie von Ole die Achterleine entgegen und zog damit das Heck der Yacht an den Steg. Auch sie blickte sich skeptisch um.
»Wo sind die?«, fragte sie. »Die sind doch nicht alle zum Fischen draußen? Wenigstens die Frauen müssten doch da sein.«
Ole konnte nur die Achseln zucken. Er stellte den Motor ab und stieg zu ihr an Land.
»Vielleicht ist was mit Tore?«, sagte Lina besorgt.
Zügig umrundeten sie den Hafen und gingen auf die Holzbaracke zu, in der sie Sigur und den Verwundeten vor nicht einmal zehn Stunden zurückgelassen hatten. Auch hinter den trüben kleinen Fenstern schien sich nichts zu regen.
Sie erreichten die Tür. Ole öffnete sie – und erstarrte.
Vor ihnen stand, das altbekannte, überhebliche Grinsen im Gesicht, Richard Korfmann!
»Junge Junge, Ole, du hast mir ganz schön Kopfzerbrechen bereitet, weißt du?«, begann Richard in seiner plauderhaften, weitschweifigen Art, die Ole schon früher nur mühsam hatte ertragen können. »Die Skagerrak alleine aufs Meer zu schicken – Hut ab! Das hätte ich einem mittelmäßigen Segler wie dir wirklich nicht zugetraut!«
Außer Korfmann waren noch vier weitere Männer des Schnellbootes auf der Insel. Bis an die Zähne bewaffnet hatten sie in dem Schuppen auf sie gewartet.
Sigur hockte mit gefesselten Händen und leichenblassem Gesicht in der entferntesten Ecke des Schuppens und hatte, wie Ole irritiert bemerkte, bei ihrer Ankunft kaum den Blick gehoben.
Tore ging es deutlich schlechter, und Ole und Lina waren ein zweites Mal heftig erschrocken, als sie ihn sahen. Seine Augen waren halb geöffnet, ebenso wie sein Mund, aus dem ein leises, kurzatmiges Röcheln drang. Sein Tod konnte nur noch eine Frage von Stunden sein.
»Wer hat uns verraten?«, fuhr Lina Richard an, während sie neben Tore kniete und seine Hand hielt. »Der elende Quacksalber aus Gullholm? Oder die Fischer?«
»O nein! Die Fischer haben kein Sterbenswort herausrücken wollen. Weder die hier auf der Insel noch euer Freund, dessen Kutter die Hyäne vor Marstrand aufgebracht hat. Wohin er euch für eure kleine … Kommandoaktion gebracht hat.«
Ole erbleichte und starrte geschockt zu Lina hinüber. Auch sie rang um Fassung. Korfmann wusste es! Er wusste es, und jetzt war alles verloren!
Richard tat, als hätte er Oles und Linas Reaktion nicht bemerkt, und blickte stattdessen gelangweilt aus einem der milchigen Fenster.
»Wir erwarten das Schnellboot heute Nachmittag zurück. Durch den lästigen Umweg, den ihr uns eingebrockt habt, mussten wir erst mal ein Bunkerschiff anfordern, um die Tanks zu füllen, bevor wir endgültig die Heimreise antreten
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