Die Farbe der See (German Edition)
blutiger Wunde keinen Aufschub mehr duldete, legten sie mit der Lotten an einem alten, wackeligen Holzsteg auf der Insel Bassholm an.
Als Erstes kümmerte sich Lina um Oles Verletzungen. Er musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht zu schreien, als sie mehrere Holzsplitter, einer davon zeigefingergroß, aus seinem linken Oberarm und seiner linken Hand zog. Dann reinigte sie die Stellen mit dem alkoholischen Fiebermittel, das der arme Tore nicht mehr hatte aufbrauchen können.
»Die eine Wunde hier muss ich vernähen, wenn sie zu bluten aufhören soll«, sagte Lina und nahm sich, was sie an Wundfaden und Nadeln in der Verbandstasche der Skagerrak fand.
Ole hielt sich mit beiden Händen an der Pinne fest und öffnete seine Fäuste erst wieder, als Lina die restliche Mullbinde um die Wunde wickelte.
Dann gingen sie an Land.
Der Anleger gehörte zu einer halb verfallenen, offensichtlich schon seit Jahren aufgegebenen Kleinbootsbauerei. Die Scheiben in dem alten Werkstattgebäude waren blind oder eingeschlagen, und auf der kleinen Slipanlage stand das halb verfallene Spantgerippe eines nie vollendeten kleinen Fischereifahrzeuges. Ole fand ein paar rostige Werkzeuge – Hammer, Handbohrer und eine grobe Säge – sowie einige noch recht brauchbare Bootsbaumaterialien – Holz, Schrauben und Nägel –, mit denen er die gröbsten Schäden reparieren konnte, die die Kugeln aus Richards MG in die Lotten gerissen hatten.
Was sie jedoch noch weitaus dringender benötigten, waren Proviant und Frischwasser.
Letzteres spendete eine quietschende Handpumpe hinter dem Werftschuppen. Mit seinem unversehrten Arm trug Ole den portablen, 30 Liter fassenden Trinkwasserkanister der Lotten herüber und begann ihn zu füllen.
Ein Stück weiter öffnete sich ein schmales, von Laubbäumen gesäumtes Tal, dessen Grasfläche von ein paar Weidezäunen und kleineren Ackerflächen unterbrochen war. Also musste die Insel bewohnt sein. Lina schulterte ihren Rucksack, aus dem sie zuvor die Kassette mit den Plänen genommen hatte, steckte sich ein paar Kronenscheine aus ihrer Geldreserve ein, und machte sich auf die Suche nach dem Hof.
»Ist vielleicht besser, wenn ich alleine gehe«, sagte sie knapp, mit missbilligendem Blick auf Oles Kleidung.
Ole sah an sich herab. Er trug immer noch die einfache Decksuniform aus Hose, Hemd und Leinenjacke, die auf der Skagerrak üblich gewesen war und ihn natürlich sofort als Matrosen der deutschen Kriegsmarine auswies. Obendrein war sie inzwischen ziemlich heruntergekommen, und der linke Arm von Hemd und Jacke war von den Splittern zerfetzt und mit Blut beschmiert.
Was wohl der Konteradmiral zu diesem Aufzug gesagt hätte? Vermutlich, dass Ole sich damit nicht einmal in einem schwedischen Schweinestall würde sehen lassen können.
Eine knappe Stunde später war Lina wieder zurück.
Sie zog einen großen Käse, Schinken, zwei Laib Brot und einen Schlauch mit Milch aus dem Rucksack. Heißhungrig machte sich Ole über die guten Gaben her. Lina selber aß nur wenig, und so blieb noch genug Proviant übrig, um ihnen bis zu ihrer Ankunft in Smögen auszureichen.
Nach dem Essen präsentierte Lina Ole ein paar Kleidungsstücke, die sie ebenfalls von den Bauern erstanden hatte: eine mehrfach geflickte, aber saubere Leinenhose, ein einfaches weißes Leinenhemd und einen dicken Pullover aus blau gefärbter Wolle, der noch ziemlich neu sein musste, weil er noch ein wenig nach Schaf roch.
Die Sachen passten Ole überraschend gut. Vor allem wärmten sie ihn später, als er bei Einbruch der Nacht alleine auf dem Vorschiff saß.
Lina hatte sich schon vor einer ganzen Weile mit ein paar knappen Worten entschuldigt und war in der Koje verschwunden. Inzwischen war das Rot am Himmel in ein mattes, dunkles Purpur übergegangen, und an Land waren die Schatten dichter geworden. Die schwarzen Bäume rund um die alte Werft säuselten leise in der aufkommenden Nachtbrise, und langsam kroch eine feuchte Kälte von der Wasseroberfläche zu Ole an Deck.
Plötzlich hörte er ein leises Geräusch.
Nichts Alarmierendes oder Gefährliches, aber dennoch etwas, das schrecklich genug war, um Ole zusammenzucken zu lassen. Linas Schluchzen.
Ole zögerte. Vielleicht war es besser, wenn er es diskret überhörte, vielleicht sogar an Land ging und erst wiederkam, wenn sie schlief? Auf jeden Fall wäre es unverfänglicher, und er würde weder in den Verdacht noch in die Versuchung kommen, ihre Stimmung … Blödsinn!
Was für ein
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