Die Farbe der See (German Edition)
Brandung. Einige von ihnen trugen spitze, dreieckige Rückenflossen aus aufeinandergeschichteten Felsbrocken, Baken genannt. Gemeinsam mit den vielen Leuchtfeuern waren sie die wichtigsten Wegweiser durch den Irrgarten des felsigen Schärenfahrwassers.
Zwei von ihnen, die Kråkan-Bake und der einige Meilen vor der Küste stehende Leuchtturm Hätteberget, wiesen ihnen den Weg in den ringsum von felsigen Schären und grünen Hügeln beschützten Sund von Marstrand. Unter hellem Rasseln der Kette fiel dort kurz darauf der Anker.
Marstrand war nicht besonders groß, und die Zeiten, in denen es einmal ein prosperierender Handelshafen und bedeutender Flottenstützpunkt gewesen war, lagen schon lange zurück. Aber noch immer war der Ort eine wahre Perle.
Beiderseits eines schmalen, im Halbkreis um eine Insel verlaufenden Sundes schmiegten sich bunt gestrichene, mit Balkonen und Veranden verzierte Holzhäuser an die Hänge der steil abfallenden Ufer, und wann immer sich ein Sonnenstrahl durch die Wolkendecke schlich, leuchteten sie in hellem Gelb und Blau oder dem für Schweden so typischen dunklen Rot. Es gab enge, gepflasterte Gässchen, schattige Plätze mit mächtigen alten Laubbäumen und blühende Obstgärten, deren kräftiger, erdiger Duft bis hinaus zur Skagerrak wehte. An kleinen, wackligen Holzstegen und Bojen waren offene Fischerkähne und kleinere Segelboote vertäut, die ebenso farbenfroh bemalt zu sein schienen, wie die Häuser ihrer Besitzer. Auf der Slipbahn der örtlichen Werft waren zwei Krabbenkutter und mehrere kleinere Boote und Yachten zur Überholung aufgepallt. Ein kleines, unter schwarzem Kohlequalm hin und her schnaufendes Fährschiffchen verband die beiden Ufer des Sundes miteinander, und über allem thronte der Karlsstein, die mächtige, graue Festung mit ihren steil aufragenden Mauern und dem massigen runden Turm.
An diesem Tag hatte sich der Ort noch zusätzlich herausgeputzt. Natürlich, der Konteradmiral hatte ja von einem Sommerfest gesprochen. An allen Häusern und über der Festung wehten die blau-gelben Schwedenfahnen, und die Uferpromenade ebenso wie die Plätze waren voll mit Buden und Zelten. Dazwischen drängten sich trotz der morgendlichen Stunde bereits viele Menschen. Nicht wenige von ihnen blieben auf der kurzen Mole am Hafen stehen und blickten voller Neugier zu der stattlichen weißen Segelyacht aus Deutschland hinüber, die dort draußen im Sund vor Anker gegangen war.
Im Krieg galt Schweden offiziell als neutral. Aber die engen wirtschaftlichen Beziehungen, vor allem die umfangreichen Erzlieferungen an die deutsche Schwerindustrie im Rheinland, machten aus den Schweden quasi Verbündete des Dritten Reiches.
So mochte das unangemeldete Auftauchen einer Yacht unter der Flagge der Kriegsmarine von den Besuchern des Sommerfestes durchaus als Überraschungsbesuch einer befreundeten Nation gewertet werden, und Ole sah viele winkende Hände am Ufer.
»Komm, wink doch mal zurück!«, hörte Ole Karl Hohmeier aufgeregt rufen. »Hast du die Mädels da drüben gesehen? Eine blonder als die andere!«
Und wenn schon, dachte Ole. Das einzige blonde Mädchen, das ihn interessierte, lebte in Stockholm. Und das war Hunderte von Meilen entfernt.
Nicht nur Karl winkte frenetisch zum Ufer zurück. Auch die anderen Kadetten schwenkten ausgelassen ihre Arme, sichtlich aufgekratzt von der Aussicht auf den bevorstehenden Landgang. Es wurde gescherzt und gelacht, als hätte es weder die Kälte noch die Seekrankheit der vergangenen Sturmnacht gegeben. Oder die Schüsse des Schnellbootes, dachte Ole, und die waghalsige Querung des Anholtriffes.
»Endlich wissen wir, wofür die ganze Schinderei gut war!«, rief einer der Kadetten fröhlich aus. »Ein Sommerfest in Schweden als Höhepunkt unserer Ausbildungsfahrt! Unser Kon.Ad. ist schon ein Teufelskerl!«
»Jau!«, stimmte ihm Karl lautstark zu. »Und die Miesepeter im Oberkommando haben doch tatsächlich ein Schnellboot geschickt, um uns davon abzuhalten. Die wollen ihm und uns einfach nicht gönnen, dass wir uns hier mit den kleinen Schwedinnen vergnügen!«
Alle lachten.
Einzig Ole wusste, dass das Fest nicht der Grund ihrer Anwesenheit in Schweden war.
Wenig später, die Crew war noch mit dem nach einem Seetörn obligatorischen »Reinschiff« beschäftigt, setzte eine kleine Ruderbarkasse vom Ort aus zu ihnen über und ging an der Skagerrak längsseits. An Bord befanden sich der Ortsvorsteher und einige andere Honoratioren der Stadt. Sie
Weitere Kostenlose Bücher