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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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dem Pfarrer Haferplätzchen und Tomatenchutney zu bringen. Pare wusste sich nicht anders zu helfen, als sich so lange in der Küche einzuschließen, bis irgendjemand nach Hause kam und sie rettete.
    Unterdessen hatte der Wind die Richtung geändert und schaukelte jetzt Baby Edwins Wiege. Edwin Orchard schwor später,er könne sich noch daran erinnern, wie die Binsenwiege plötzlich so wunderschön im Südwind hin und her schwang. Und fast so, wie Ngārara sich die Menschenmädchen nimmt, wirbelte der Wind mit einem Mal die Wiege samt Baby und besticktem Deckchen über die Veranda und ließ sie kopfüber auf den verdorrten Rasen vorm Haus fallen.
    An diesen kurzen Flug konnte Edwin sich später nicht mehr erinnern, auch nicht an die heftige Landung und die Zeit, die dann folgte. Er lag wohl fast eine Stunde lang regungslos auf der Erde, bis Dorothy und Janet ihn fanden, mit dem Köpfchen im Staub. Dorothy wickelte ihn in ihre Röcke und trug ihn ins Haus, wo Pare noch immer in der Küche hockte. Dorothy konnte Edwins Herz zwar noch schlagen hören, aber er regte sich nicht und öffnete auch nicht die Augen.
    Sie legte ihn in ihr Bett. Janet wurde wieder nach Rangiora geschickt, um Dr. Pettifer zu holen. Der erklärte Dorothy, Edwin habe sich nichts gebrochen, aber man könne nicht sagen, ob das Baby leben oder sterben werde. »Er ist woanders«, war alles, was er sich entlocken ließ, »er hat sich aus dem Hier-und-Jetzt verabschiedet und wird vielleicht nie mehr zurückkehren.«
    An jenem Abend machte Toby Orchard sich auf Eidechsenjagd. Voller Zorn und Kummer über das schreckliche Ereignis verließ er das Haus und schoss auf alles, was sich im Umkreis von dreißig Metern bewegte oder durch Geräusche verriet. Er zeigte Pare die blutigen Reste eines grünen Geckos. Dann schickte er sie fort. Er ließ sie Wasser, Wegzehrung und ein wenig Geld in das Bündel mit ihren Habseligkeiten packen, doch er kannte kein Erbarmen mit ihr. Es interessierte ihn nicht, wohin sie ging oder was aus ihr werden sollte. Am liebsten hätte er sie ausgepeitscht.
    Nach fünf Tagen erwachte Edwin Orchard wieder.
    Ein Jahr lang schien er geschwächt durch das, was geschehen war, hatte ein bleiches Gesicht und eigentümlich große Augen.Doch dann wurde er allmählich ein ganz normaler Junge, nur wollte er ständig gewiegt werden und wurde dies auch nie leid. Noch mit acht Jahren kletterte er auf den Schoß seiner Mutter und sagte: »Wieg mich, Mama. Wieg mich wie der Wind.«
II
    Als der Schnee in der warmen Wintersonne schmolz, die dem Kälteeinbruch folgte, reiste Harriet Blackstone zur Orchard-Farm.
    Gemeinsam hatte sie mit Joseph den angerichteten Schaden in Augenschein genommen – Beauty und fast alle Hühner waren verloren, der Esel war abgemagert und hustete schwer, das Blechdach vom Lehmhaus leckte und war verbeult –, und sie mussten sich eingestehen, dass sie, ahnungslos, wie sie waren, diese Katastrophe selbst zu verantworten hatten.
    »Wir sind Narren«, sagte Joseph. »Wir sind Tölpel. Wir sind dumme Gänse.«
    In seiner kopflosen Panik fürchtete er, sie würden den Winter nicht überleben. Es war schließlich Lilian, die, in der festen Überzeugung, nur die Wohlhabenden hätten Erfolg in der Welt, die Reise zum Orchard-Haus vorschlug. Während sie am Herd Beautys Schottenkaromantel für den gequälten Esel trocknete, erklärte sie ein wenig verächtlich: »Die Einzigen, die euch weiterhelfen können, sind die Orchards. Ihr werdet sie in aller Demut aufsuchen müssen.«
    In aller Demut? Joseph dachte, die und manches mehr hätte er in England zurückgelassen. Er hatte selbst erlebt, wie die Gutsbesitzer von Norfolk auf seinen Vater, den Viehauktionator, herabgesehen hatten. Nur wenige hatten sich zur Teilnahme an seiner Beerdigung bequemt oder wenigstens einen Beileidsbrief geschrieben. Scharf wandte er sich an Lilian: »Ich werde zu niemanden mehr in aller Demut gehen!«
    »Nun«, erwiderte Lilian ebenso scharf, »dann bist du ein noch größerer Narr, als ich dachte. Wulla .«
    In jener Nacht nahm Harriet in ihrem Kattunzimmer Joseph in die Arme. Sie sagte, sie habe die Orchards schon längst besuchen wollen, um zu hören, was in deren Gemüsegarten wuchs und wie sie im Sommer wässerten. Sie wies Joseph darauf hin, dass Dorothy Orchard, die praktisch allein in einer Männerwelt lebte, sich vielleicht gern einmal mit einer Frau darüber unterhalten würde, wie man Karottenkuchen backt oder Aal blau dünstet.
    Eine ganze

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