Die Farbe des Himmels
kein Alibi. Hast du gesehen, wie sie gezittert hat?« Theas Magen krampfte sich zusammen, als Messmer an der Ampel einen Kavaliersstart hinlegte. »Ich mag sie nicht.«
»Ich auch nicht, aber das tut nichts zur Sache. Wir müssen sie im Auge behalten und uns im Olgäle nach ihrem Dienstplan erkundigen.« In wildem Tempo fuhren sie die serpentinenreiche Straße am Waldfriedhof vorbei nach Heslach hinunter. Thea klammerte sich an ihren Sitz und stemmte die Füße gegen den vibrierenden Wagenboden.
»Könntest du bitte etwas langsamer fahren? Wir sind doch nicht in Monte Carlo.« Thea bremste buchstäblich mit.
»Leider. Aber wer weiß, vielleicht eines Tages …«
»Danke, aber Monte Carlo ist nicht meine Ecke. Ist mir zu mondän, zu teuer und zu heiß. Ich mag den Norden und wäre jetzt lieber in Schottland oder Schweden.« Thea kam sich vor wie auf einer Achterbahn. Allmählich wich die Anspannung von ihr.
»Kein Problem. Dann fahren wir eben zuerst nach Schottland, danach auf einen Sprung nach Schweden, und Finnland soll auch sehr schön sein. Ich liebe die Sauna, und du?«
Thea schüttelte den Kopf.
»Auch zu heiß?«, grinste Messmer.
Thea ignorierte die Frage.
»Danach machen wir einen Schlenker über die Alpen in die Toskana und zum Schluss – Monte Carlo. Na, was hältst du davon?«
»Das wird uns beiden bestimmt nicht passieren, jedenfalls nicht in diesem Leben.« Sie stellte sich vor, wie sie in einem Wohnmobil quer durch Europa fuhren. Wochenlang, mit ihm allein. Warum verspürte sie bei dem Gedanken dieses Kribbeln in der Magengegend?
»Täusch dich nicht. Das Leben steckt voller Überraschungen. Ich könnte dir da Dinge erzählen.«
»Ich mag keine Überraschungen. Sind mir zu anstrengend. Als ich klein war, waren Überraschungen etwas Schönes, vor allem an Geburtstagen oder zu Weihnachten. Aber jetzt? Nein danke.«
»Hast du keine Tagträume oder heimlichen Wünsche? So alt bist du doch noch gar nicht, oder?«
Thea streifte ihn mit einem vernichtenden Blick. Ihr Lächeln war so plötzlich verschwunden, wie es gekommen war.
»Oh-oh, bin ich gerade in einen Fettnapf getreten?« Messmer schaltete in den zweiten Gang herunter, und der Wagen gab ein tiefes Röhren von sich. Thea erwartete schon, dass der Motor jeden Augenblick kapitulierte.
»Was meine Träume oder Wünsche angeht, so glaube ich nicht, dass jetzt der richtige Augenblick ist, um darüber zu reden«, sagte sie steif.
»Und wann ist der richtige Augenblick? Morgen, übermorgen oder vielleicht erst in ein paar Jahren, wenn du alt und grau geworden bist?«
Sie blieb ihm die Antwort schuldig.
»Oje! Was hab ich jetzt wieder angestellt? Natürlich geht mich dein Privatleben nichts an. Aber ich brauche meine Tagträume, damit mich dieser Job nicht noch völlig verrückt macht.«
»Ja, noch verrückter darfst du wirklich nicht werden.« Thea musste nun doch wieder lachen, und Messmer stimmte ein.
An der Ampel nach dem Schwabtunnel bremste er den Wagen so stark ab, dass Thea nach vorne flog. Dann fuhr er vorschriftsmäßig in Richtung Innenstadt. Als sie sich in den Feierabendstau an der Wilhelma einreihten, ließ Thea die Scheibe herunter. Die Hitze hatte etwas nachgelassen. Der Gestank von Autoabgasen, vermischt mit dem Geruch des nahen Neckars drang herein. Sie merkte nicht, wie Messmer sie aus den Augenwinkeln musterte. Sehnsüchtig sah sie zu dem Schiff der Weißen Flotte, das an der Anlegestelle lag. Ein paar Tage Urlaub wären jetzt klasse. Einfach die Sachen packen und irgendwohin fahren, Hauptsache, weit weg. Doch dafür hatte sie definitiv den falschen Beruf.
*
5. August
Am Freitag bekam ich einen Brief von meiner Schwester. Sie schrieb, sie brauche dringend Geld, und bittet mich, ihr zweihunderttausend Euro zu leihen. Sie sagte aber nicht, wofür sie es haben will. Ich soll so bald ich kann nach Deutschland kommen, damit wir über alles reden können. Ich habe aber keine Lust dazu. Nicht auf Deutschland und noch weniger auf ein Gespräch mit ihr.
Ich hatte gehofft, für immer mit ihr fertig zu sein. Doch jetzt brechen die alten Wunden wieder auf. Wenn ich zu ihr fahre, werden mir all die schrecklichen Erinnerungen wie ungebetene Gäste die Tür einrennen. Kann sie mich nicht endlich in Ruhe lassen?
Damals, als ich mich nicht wehren konnte, hat sie mich bevormundet und in dieses Sanatorium abgeschoben. Und jetzt, wo ich mein Leben endlich im Griff zu haben glaube, erinnert sie sich plötzlich an ihre kleine
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