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Die Farbe des Himmels

Die Farbe des Himmels

Titel: Die Farbe des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britt Silvija und Reissmann Hinzmann
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kriechen.«
    »Da bleib ich doch lieber hinter meinem Bankschalter und zähle fremdes Geld.« Karolin nippte an ihrem Glas und sah Thea nachdenklich an. »Was ist eigentlich mit deinem Micha?«
    Thea fuhr hoch. »Wie meinst du das – mit meinem Micha? Er ist nicht mein Micha.«
    Karolin zwinkerte ihr zu. »Na komm, so oft, wie du in letzter Zeit von ihm erzählst, muss es zwischen euch doch ganz schön knistern.«
    »Ja, weil er mir gewaltig auf die Nerven geht.«
    »Tja, was sich nervt, das liebt sich«, zitierte Karolin, ungeachtet der Tatsache, den Volksmund in diesem Fall nicht ganz originalgetreu wiederzugeben.
    »Tut es das?« Thea konnte nicht verhindern, dass sich die Hitze in ihr ausbreitete.
    »Jedenfalls ist er dir nicht gleichgültig, oder?«
    »Karolin, der Mann ist vierzehn Jahre älter als ich. Er könnte fast mein Vater sein.«
    »Und? Vielleicht siehst du in ihm einen Ersatzvater. Du hattest schließlich nie einen richtigen.«
    »Hör doch auf. Ich bin erwachsen und brauche keine Vaterfigur. Mit dreißig muss man es doch geschafft haben, sich abzunabeln.«
    »Man kann sich aber nicht abnabeln, wenn man zuvor nicht angenabelt war«, sagte Karolin ruhig, räumte die Teller zusammen und trug sie in die Küche.
    Thea stand auf und ging zum Fenster. Ein Freier auf der gegenüberliegenden Straßenseite kroch einem Mädchen beinahe ins Dekolletee. Männer sind Schweine, dachte Thea, ohne genau zu wissen, wie sie zu dieser Überzeugung kam. Ihre letzte engere Beziehung war nicht zuletzt an ihrer Unfähigkeit gescheitert, sie selbst zu sein. Doch wie kann man sich selbst verkörpern, wenn man dieses geheimnisvolle Selbst gar nicht kennt, wenn man nicht wagt, es ans Tageslicht zu holen, weil man Angst hat, es könnte einem selbst und dem anderen nicht gefallen? Wenn die Furcht übermächtig wird, wieder verstoßen zu werden, und man glaubt, es nicht noch einmal ertragen zu können, ist es dann nicht besser, eine Maske aus Unnahbarkeit aufzusetzen, die den heftigsten Schlägen widersteht?
    Ich bin nicht die Einzige, die sich versteckt, tröstete sich Thea. Der Bedarf an Make-up erhält schließlich einen riesigen Industriezweig am Leben. Wenigstens brauche ich für meine Maskerade keine Schminke. Sie überlegte, wann sie sich zum ersten Mal hinter ihrer Maske verschanzt hatte, konnte sich aber nicht daran erinnern. Möglicherweise hatte sie diese Haltung bereits mit der Muttermilch eingesogen. Doch dann fiel ihr ein, dass sie höchstwahrscheinlich niemals Muttermilch bekommen hatte.
     
    *
     
    6. August
    Heute ist mir etwas so Unglaubliches passiert, dass ich es immer noch nicht fassen kann.
    Es begann damit, dass ich zur Bank auf der Piazza Salimbeni gegangen bin. Ich hatte mich entschlossen, meiner Schwester das Geld zu überweisen. Es ist mir egal, was sie damit macht, Hauptsache, sie lässt mich in Ruhe, und ich muss nicht nach Stuttgart fahren. Ich wollte es einfach hinter mich bringen und dann für immer vergessen.
    Als das Prozedere mit der Überweisung überstanden war, ging ich zur Via Banchi di Sopra, um einen Kaffee zu trinken.
    Es war schrecklich heiß. Im »Nannini« bestellte ich einen Cappuccino an der Bar und sah mich nach einem freien Tisch um, als mir jemand auf die Schulter tippte.
    »Entschuldigen Sie«, sagte ein Mann auf Deutsch. »Sic sind doch Francesca Lind, nicht wahr?«
    Ich drehte mich um. Eine gewaltige Alkoholfahne schlug mir entgegen. Ich hielt ihn für einen Geier von der Yellowpress, der ein Interview wollte, und verwies ihn an meine Agentur in Mailand.
    Doch der Typ grinste mich nur an und meinte, ich hätte etwas verloren. Dabei hielt er mir einen Zettel unter die Nase. Es war der Bankbeleg von der Überweisung an meine Schwester, der mir aus dem Portemonnaie gefallen sein musste.
    Ich dankte ihm und ging zu einem frei gewordenen Tisch, doch der Fremde kam mir nach und besaß die Frechheit, sich zu mir zu setzen.
    »Erinnern Sie sich nicht mehr an mich?«, fragte er.
    »Nein, sollte ich?«, sagte ich so abweisend ich nur konnte und sah ihn mir genauer an. Sein Schnurrbart ließ mich stutzen. Er erinnerte mich tatsächlich an jemanden. Aber das war schon sehr lange her.
    Der Mann war um die sechzig und korpulent. Die Lichter über der Bar warfen bunte Flecken auf seinen kahlen Schädel. Der Sommeranzug, der an ihm klebte, war nicht ganz neu und viel zu eng.
    »Ich kann mich wirklich nicht erinnern«, sagte ich und überlegte, ob ich gehen sollte. Als er seine Sonnenbrille mit

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