Die Farbe des Himmels
sie gingen zusammen zum Mittagessen. Ich hatte den Eindruck, er hat sich im Laufe der Jahre vernachlässigt; manchmal roch er sogar mitten am Tag nach Alkohol. Als junger Mann war er noch gepflegter.«
»Die beiden kennen sich also bereits sehr lange? Wissen Sie, seit wann?«
Frau Wiesner schien nachzudenken. »Eigentlich war dieser Lichtenberg schon immer präsent«, sagte sie schließlich. »Das erste Mal sah ich ihn anlässlich eines ziemlich skandalösen Vorfalls, der sich in der Firma abspielte.«
»Was war das denn für ein Vorfall?«
Frau Wiesner strich eine Falte in der Tischdecke glatt. Die Loyalität gegenüber ihrem Chef schien mit ihrem Mitteilungsbedürfnis im Widerstreit zu liegen.
»Ihr Chef ist tot, Frau Wiesner«, erinnerte Thea sie. »Und um seinen Mörder zu finden, sollten wir wirklich über alles Bescheid wissen, was Herrn Hauser und sein Umfeld betrifft. Was immer Sie über ihn erzählen, er kann Sie dafür nicht mehr zur Verantwortung ziehen.«
»Also gut, es war in meiner Anfangszeit, da kam eine junge Frau in die Firma. Sie machte den Eindruck einer verschmähten Geliebten und legte eine Eifersuchtszene hin, die sich gewaschen hatte. Es ist wirklich schwer, sich in solchen Situationen ganz diskret zu verhalten und sich in die Arbeit zu vertiefen. Es war unvermeidlich, dass ich einiges mitbekam.«
»Natürlich«, sagte Thea. »Woran erinnern Sie sich denn?«
»Ich weiß noch, dass ich die Frau nicht zum Chef hinein lassen wollte. Er war in einer Besprechung und wollte nicht gestört werden. Der jungen Dame war das vollkommen egal, und sie fing an zu toben. Der Chef hörte den Tumult und kam raus. Ich muss schon sagen, er war wirklich gemein zu ihr. Er hat sie eiskalt abfahren lassen.«
»Und wie reagierte sie?«
»Sie hat die Nerven verloren und etwas nach ihm geworfen. Zum Glück traf sie nicht. Aber es hätte dumm ausgehen können. Sie ist völlig zusammengebrochen und war nicht mehr ansprechbar. Herr Hauser hat dann einen Arzt gerufen, der sich um sie kümmern sollte. Dieser Arzt war Lichtenberg.«
»Können Sie die Frau beschreiben? Und womit hat sie nach Herrn Hauser geworfen?«
»Nach so langer Zeit weiß ich wirklich nicht mehr, wie das Mädchen ausgesehen hat. Aber an den Gegenstand, mit dem sie warf, kann ich mich noch gut erinnern. Es war ein Briefbeschwerer, eine große Glaskugel mit buntem Muster drin. Es hat ganz schön gekracht, als sie auf den Boden fiel. Leider ist sie bei der Attacke kaputt gegangen und hat einen ziemlich hässlichen Riss abbekommen. Wahrscheinlich hat Herr Hauser sie inzwischen weggeworfen.«
Nein, das hat er nicht, dachte Thea, als sie wieder auf der Calwer Straße stand. Aber er hätte besser daran getan. Vielleicht würde er dann noch leben.
*
Auf dem Weg zu ihrem Zimmer kam Thea an Küblers Büro vorbei. Die Tür stand offen und das Telefon klingelte. Von Kübler keine Spur. Thea ging rein und nahm den Hörer ab.
»Engel, Apparat Kübler.«
»Bin ich da richtig bei der Kripo?«
»Ja, hier ist das Dezernat für Tötungsdelikte.«
»Mein Name ist Sautter, Hotel Steigenberger ›Graf Zeppelin‹. Ich rufe wegen einer Faxanfrage Ihres Kollegen Kübler an. Er erkundigte sich nach einer Telefonnummer, besser gesagt, nach dem Gast, der am Freitag unter dieser Nummer angerufen wurde. Ich habe das inzwischen überprüft und kann Ihnen Auskunft geben.«
»Einen Moment bitte.« Thea suchte in dem heillosen Durcheinander auf Küblers Schreibtisch nach Notizzettel und Stift. Dabei warf sie einen Bilderrahmen um von der Sorte, wie sie auf allen Büroschreibtischen dieser Welt zu finden sind. Mit dem Unterschied, dass die meisten dieser Fotos Frau oder Kinder des Betreffenden zeigen, von Küblers Bild hingegen strahlte einen das Porträt eines Pferdes an. Thea stellte Rosinantes Konterfei kopfschüttelnd an seinen Platz zurück, fand endlich etwas zum Schreiben und setzte sich. »Ist denn der Gast noch im Hotel?«, fragte sie.
»Er ist noch nicht abgereist, wenn Sie das meinen. Aber im Moment ist er nicht auf seinem Zimmer. Er ist heute Vormittag weggegangen und noch nicht zurück.«
»Gut. Ich werde die Nachricht an Herrn Kübler weiterleiten. Wenn Sie so freundlich wären, mir den Namen des Gastes zu nennen.« Sie wartete mit gezücktem Bleistift und fuhr zusammen, als ihr Gesprächspartner in den Hörer nieste und sich geräuschvoll die Nase putzte.
»Gesundheit!«
»Danke. Dieser blöde Heuschnupfen! Ach ja, der Name des Mannes. Er
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