Die Farben der Finsternis (German Edition)
sie gemeinsam.
Sie lag in Unterwäsche auf dem Teppich vor dem Kamin, der glücklicherweise kalt war. Ihr schlanker, trainierter Körper war von Blut umrahmt. Dieser Körper sah teuer aus, mit Peeling, Lotion und Gel gepflegt und auf Skipisten geschmeidig gehalten. Die Pulsadern waren säuberlich aufgeschnitten und das kleine, scharfe Küchenmesser, das sich für diese Aufgabe als überaus geeignet erwiesen hatte, lag verschmutzt neben ihr.
Der Heiligenschein aus Blut, das den Teppich bis zu ihrem fächerartig ausgebreiteten Haar durchtränkt hatte, ließ nicht erkennen, wo ihre langen Haare endeten und das Blut begann. Sie wirkte wie ein gefallenes Rapunzel, dachte Cass. Das Mädchen war eine wahre Schönheit – gewesen. Auch jetzt hatte ihre Haut noch den ursprünglichen warmen Olivton, obwohl sie schon blau und fleckig wurde, und ihre braunen Augen, die nun für immer starr in die Ferne sahen, hatten etwas Bewegendes, das Cass nur selten in den seelenlosen Augen der Toten entdeckte.
Im Flur saß eine ähnlich schlanke, durchtrainierte junge Frau in einem Stuhl vor den Aufzügen. Sie hatte die Knie ans Kinn gezogen und weinte mit zuckenden Schultern. Ihr Gesicht unter dem blonden Haar war braun, aber nicht olivfarben wie das des toten Mädchens, sondern sonnengebräunt. Cass dachte unwillkürlich, dass dieses Mädchen gewöhnlicher war. Es gab kein Leuchten . Der Gedanke gefiel ihm selbst nicht, sodass er ihn rasch wieder verdrängte.
Das Mädchen fing schon an zu reden, bevor er es etwas hatte fragen können. »Ich habe gestern bei Justin übernachtet.« Ihre Stimme klang nach teuren Urlauben, Treuhandfonds und einem Haus in Südfrankreich. Aber ihre Gefühle waren durch und durch menschlich. »Hayley war in letzter Zeit so komisch – ich dachte schon, sie hätte Acid oder so was genommen, und damit wollte ich nun wirklichnichts zu tun haben.« Tränen schossen in ihre perfekten Augen. »Mir war nicht klar, dass sie so was vorhatte. Gott, ich komme mir so gemein vor. Sie war meine Freundin. Sie war gut zu mir …«
»Was meinen Sie damit, dass sie komisch war?«
»Wir haben beide unser Leben gelebt, sie hat ihr Ding gemacht und ich meins, aber wir haben es immer geschafft, regelmäßig zusammen Abend zu essen und uns alles zu erzählen. Doch in den vergangenen Tagen stand sie echt neben sich. Sie schlief nicht und sie aß nichts. Sie saß einfach nur auf dem Teppich und starrte ins Feuer. Deshalb habe ich an LSD gedacht, verstehen Sie? Es war, als wäre sie völlig ausgeflippt. Ich habe sie gefragt, was los war, aber sie hat immer nur gesagt ›Ich habe es gesehen. Ich habe alles gesehen. Und ich habe mich erinnert.‹ Das passte überhaupt nicht zu ihr.«
»War das alles?«, fragte Cass. »Hat sie auch den Satz ›Chaos im Dunkel‹ gesagt?«
»Nein.« Das blonde Mädchen schüttelte den Kopf. »Wenn sie das gesagt hätte, wäre ich gestern Nacht hiergeblieben – und dann hätte ich jemanden angerufen. Schließlich wissen alle, was mit diesen Studenten passiert ist.« Wieder liefen ihr Tränen über die Wangen. »Ich habe nicht daran gedacht. Ich habe einfach nicht nachgedacht.«
»Können Sie noch mal bei Ihrem Freund übernachten?«
Sie nickte. »Er wartet unten auf mich.«
»Gut.« Nach einer Pause sagte er: »Es ist nicht Ihre Schuld.«
Sie nickte noch mal, wirkte jedoch nicht überzeugt. Cass beauftragte einen Constable damit, die Aussage aufzunehmen, und ging in die Wohnung zurück. Auf der Schwelle zum Wohnzimmer wartete Armstrong auf ihn.
»Sie heißt Hayley Porter, studiert im zweiten SemesterJournalismus an der City University. Ihre Eltern halten sich zurzeit in ihrem Ferienhaus in Portugal auf. Diese Wohnung gehört ihnen und der Familienwohnsitz liegt ebenfalls in Highgate.« Er lächelte. »Manche Leute haben eben Glück.«
»Bis auf die tote Tochter«, sagte Cass einschränkend.
Armstrong hörte auf zu grinsen.
»Ich rufe die Eltern an«, sagte er.
»Die Rezession scheint sie nicht besonders zu treffen«, meinte Cass. »Was macht der Vater so? Wissen Sie das?«
»Ja, er ist im Aufsichtsrat mehrerer weltweit operierender Mischkonzerne. Hauptsächlich Mediengeschäfte. Deshalb wahrscheinlich auch das Studienfach.«
»Also echte Oberschicht?«
»Es kommt noch besser. Sie raten nie, wer ihre große Schwester ist.«
»Wenn ich sowieso nicht draufkommen kann, sagen Sie es mir lieber gleich.« Cass hatte keine Zeit für Spielchen. Davon hatte er in seinem Privatleben mehr als
Weitere Kostenlose Bücher