Die Farben der Finsternis (German Edition)
genug.
»Abigail Porter. Die persönliche Personenschützerin der Premierministerin.«
Nach einem kurzen Schweigen sagte Cass: »Dann kommen Sie mit, wir statten ihr einen Besuch ab. Mal sehen, wie nahe sich die beiden Schwestern standen.« Er ließ den Blick durch die üppig eingerichtete Wohnung schweifen. »Ich würde sagen, dieser Fall ist im öffentlichen Interesse gerade mächtig gestiegen.«
Das gefiel ihm überhaupt nicht. Er hatte in seiner Karriere schon oft genug im Licht der Öffentlichkeit gestanden.
Abigail war müde und hatte Kopfschmerzen. Seit der Begegnung mit dem dicken Mann auf dem U-Bahnsteig tat ihr der Kopf weh, ein dumpfer Brummschädel, und es wurdeeinfach nicht besser. Fletcher war auch keine große Hilfe. Sie konnten es noch so lange als ›Nachbesprechung‹ bezeichnen, für sie fühlte es sich an wie ein Verhör. Der Chef der ATD hatte sie während der ermüdenden Befragung der Schaulustigen kaum aus den Augen gelassen. Gleichzeitig wurden die Überreste des Dicken in mühsamer Kleinarbeit von den Gleisen gekratzt. Mittlerweile drehten sie sich nur noch im Kreis, weil Fletcher unbedingt etwas begreifen wollte, was leider keinen Sinn ergab.
»Gut, dann gehen wir das noch mal durch.« Fletcher saß auf der Kante seines Schreibtisches und ließ die Schultern leicht nach vorne fallen. Vielleicht wurde er auch endlich müde. »Alle, die auf dem U-Bahnsteig waren, haben einvernehmlich ausgesagt, dass der Mann schon mindestens sechs bis sieben Minuten dortgestanden hat, bevor Sie die Treppe runterkamen – mindestens so lange, wie sie selbst auf die nächste Bahn warteten. Wir haben mindestens zwölf Zeugen, die das unbeirrt aussagen. Schließlich war er nicht der Typ, der in der Masse untergeht.«
»Was soll ich sagen?« Abigail seufzte. »Sie müssen sich irren.« Seit wann lässt du dich leerlaufen, Abigail? Der pochende Schmerz in ihrem Kopf wurde schlimmer und sie musste gegen eine plötzliche Welle der Übelkeit ankämpfen. Dies war nicht der richtige Zeitpunkt, Schwäche zu zeigen. »Warum hätte ich da runterrennen sollen, wenn ich nichts gesehen hätte?«
Fletcher konnte sich ihrer Logik nicht entziehen. »Ich sage nicht, dass Sie nichts gesehen haben. Wir haben auf den Videos der Überwachungskameras während der Anschläge gesehen, dass dieser Mann Doppelgänger haben muss. Ich frage mich nur, wo sie geblieben sind.«
Abigail schwieg. Es tat irgendwie gut, zu sehen, wie Fletcher langsam die Fassung verlor. Dadurch wurde erbeinahe noch attraktiver. Nicht dass es noch auf ihrer Liste gestanden hätte, den Chef der ATD zu verführen, falls das jemals der Plan gewesen war. Trotzdem fragte sie sich, ob sie ihn knacken konnte. Gerade hielt sie es zum ersten Mal für möglich.
»Außerdem ist es sonderbar, dass kein einziger Beamter der Sicherheitspolizei ihn oder eins seiner Doubles draußen gesehen hat.« In seiner Stimme lag der Hauch einer Anklage, gemischt mit Zweifel. Dieser Mann wusste, dass etwas ganz und gar falsch lief, aber er konnte nicht genau sagen was, außer dass sie irgendwas damit zu tun hatte.
Abigail zwang sich, ihn ruhig anzusehen. »Das habe ich doch schon gesagt. Er stand hinten in der Menge innerhalb der Absperrung. Er öffnete sein Jackett und ich habe gesehen, dass er Sprengstoff auf der Brust trug.«
»Knetmasse«, sagte Fletcher. »Verdammte Knete, sonst nichts.«
»Ja, super, wenn Sie das aus hundert Metern Entfernung erkennen können, bitte schön. Dann sehen Sie eben besser als ich mit meiner hundertprozentigen Sehschärfe. Er hatte es auch so festgebunden, dass es wie Sprengstoff aussah. Dann hob er etwas hoch, was ich für den Zünder hielt, sodass ich den Alarm auslöste. Ich rannte hinter ihm her, verlor ihn jedoch in der Zuschauermenge. An den Absperrungen habe ich ihn wiedergesehen und noch mal am Eingang zur U-Bahn. Es war reines Glück, dass ich auf dem richtigen Gleis gelandet bin, nachdem ich ihn hier unten weiter verfolgt habe.« Sie erwähnte weder die schwarzen Augen noch das blutende Zahnfleisch. Diese Details fühlten sich irgendwie privat an.
»Wie konnten Sie einen solchen Mann in der Menge verlieren?«
»Wie kann es sein, dass ihn sonst niemand gesehen hat?«Abigail stand auf und stemmte die Hände in die Hüften. »Sie reden mit mir, als hätte ich etwas falsch gemacht. Ich habe den Typen gejagt, bis ich ihn hatte. Wo ist das Problem?«
»Was hat er auf dem Gleis zu Ihnen gesagt?« Fletchers Blick wurde
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