Die Farben der Finsternis (German Edition)
…«
»Ich weiß, wer Sie sind«, fiel Cass ihm ins Wort. »Fletcher. Chef der ATD. Manchmal kommen Ihre Leute bei uns in Paddington Green vorbei.«
»Und meistens sagen sie nicht mal Hallo«, ergänzte Armstrong. »Man sieht, woher sie ihre Manieren haben.«
Cass unterdrückte ein Grinsen. Möglich, dass er langsam warm mit seinem Sergeant wurde.
»Wobei Sie sich natürlich seltener bei uns blicken lassen, seit Sie die Leiter raufgekrochen sind.«
»Aber auch nur, weil es in der Welt immer schlimmer zugeht.« Fletchers Lächeln war irgendwo zwischen Zynismus und Erschöpfung angesiedelt. »Glauben Sie mir, ich käme gut mit einem kleineren Büro klar.«
Cass glaubte ihm tatsächlich. Er hätte jedenfalls nicht mit ihm tauschen wollen, nicht mal angesichts der ganzen Scheiße, die auf ihn zukam.
Eine Stunde später hatte die schlanke Limousine mit den dunklen Scheiben sie in die profane Umgebung von Paddington Green zurückgebracht, wo sie zur Zufriedenheit von DCI Heddings berichten konnten, dass sie der Polizei bei ihrem Besuch in Number 10 keine Schande gemacht und Ms Porter die Nachricht so schonend wie möglich beigebracht hatten. Obwohl Cass sich wünschte, der DCI hätte auch den Verwandten der anderen toten Kinder so viel Sorge angedeihen lassen, war er andererseits froh, dass er es nicht getan hatte. Er konnte nur bedingt damit umgehen, dass man ihm nicht zutraute, seinen Job ordentlich zu machen.
Nachdem sie die Treppe hinuntergegangen waren, blieb Armstrong im zweiten Stock an der Tür zur Einsatzzentrale stehen.
»Haben Sie was vergessen, Toby?«
»Ich dachte, ich werfe noch einen kurzen Blick auf die Tafel. Nur um zu sehen, ob die Informationen über Lidster und Porter dazugekommen sind und ob mir irgendeine Verbindung unter den Kids auffällt.«
»Es ist sinnlos, hier rumzuhängen. Vor morgen früh wird Eagleton nichts Brauchbares liefern und Sie sind müde. Gehen Sie nach Hause. Grübeln Sie weiter, wenn Sie wollen. Daran kann ich Sie nicht hindern, aber Ihr Bürotag ist beendet.«
»Bei allem Respekt …«
»Wenn Sie täglich vierundzwanzig Stunden mit diesem Job verbringen, werden Sie verbittert und müssen einsam sterben.«
Armstrong, der mit einer Hand die Tür aufdrückte, blieb stehen.
»Glauben Sie mir«, fuhr Cass fort, »meine Alte hat viel mehr getan, als nur über Scheidung nachzudenken.«
Zum ersten Mal in der kurzen Zeit ihrer Bekanntschaft wirkte Armstrong verlegen.
»Geht schon, ich komme damit klar.« Die Lüge fiel Cass nicht schwer – aber er war schon immer ein guter Lügner gewesen, das musste er zugeben. Es gehörte zu ihm. Er hatte wirklich viel Übung darin, die Wahrheit zu verbergen.
12
Es fühlte sich einerseits seltsam an, mit David Fletcher zu gehen. Andererseits hatte sich der ganze Tag für Abigail seltsam angefühlt, warum sollte es mit ihm anders sein? Doch er hatte einen Schlachtplan, das war ihr klar. Fletcher war es egal, dass Hayley tot war – der Gedanke hatte sich in ihrem Kopf festgesetzt wie ein Fremdkörper –, er interessierte sich nur für den fetten Mann. Allein bei der Vorstellung, der Dicke würde sie berühren, erbebte sie vor Freude. Da musste schon jemand anderes kommen als ausgerechnet Fletcher, damit sie das opferte. Dagegen kam nichts an. Nicht einmal der Selbstmord ihrer Schwester. Vielleicht hatte Hayley sich auch leerlaufen lassen. Möglicherweise war sie deshalb verwirrt gewesen. Abigail fragte sich, wann sie anfangen würde zu trauern – und ob überhaupt. Heute hatte sich ihre Welt verändert. Fletchers offensichtliche Absichten nahm sie kaum zur Kenntnis.
Nachdem die Polizisten gegangen waren, wollte er sie nach Hause fahren. Sie wäre lieber bei dem Detective geblieben. Er hatte ihr gefallen – nein, gefallen war das falsche Wort. Sie hatte ihn irgendwie wiedererkannt, als hätte sie ihn schon mal getroffen und gut in Erinnerung behalten. Als sie Fletcher sagte, sie wolle lieber zu Fuß gehen, hatte er darauf bestanden, mitzukommen, und behauptet, er brauche frische Luft. Da hatte er seine Zeit verschwendet, denn sie hatte kaum etwas gesagt. Wenn er gehofft hatte, die Trauer würde ihre Zunge lockern, dann konnte er sie wirklich schlecht einschätzen. Sie sah zu ihm hinüber und er schaute zurück, so wie er es auf diesem stillen Spaziergang die ganze Zeit getan hatte. Sie senkte den Blick nicht. Er sah gut aus. Warm.
»Sind Sie sicher, dass es Ihnen gut geht?«, fragte er. »Ichmeine, so gut wie möglich.« Es war
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