Die Farben der Magie
schützen unsere Interessen, wie ich schon sagte«, erklärte Rerpf.
»Diebe RAUS, Diebe RAUS!« gackerte sein älterer Begleiter, und mehrere andere stimmten mit ein. Zlorf grinste. »Und das gilt auch für Meuchelmörder«, fügte der Alte hinzu. Daraufhin schnitt Zlorf eine finstere Miene.
»Ist doch ganz klar«, sagte Rerpf. »Wenn dauernd Leute bestohlen oder ermordet werden – welchen Eindruck sollen Besucher dadurch bekommen? Sie legen einen weiten Weg zurück, um unsere historisch und kulturell interessanten Sehenswürdigkeiten zu bewundern – ganz zu schweigen von unseren vielen malerisch-idyllischen Bräuchen –, und dann wachen sie tot in irgendeiner dunklen Gasse auf oder treiben den Ankh hinunter. Solche Leute berichten ihren Freunden bestimmt nicht davon, hier einige angenehme Tage verbracht zu haben. Sehen wir den Tatsachen ins Auge: Man muß mit der Zeit gehen.«
Zlorf und Ymor musterten sich gegenseitig.
»Uns bleibt wohl keine andere Wahl, wie?« brummte Ymor.
»Ganz recht, Freund. Er sprach vom Gehen. Ich meine: Los geht's!« Ruckartig hob er das Blasrohr an den Mund und schickte einen Pfeil zum nächsten Troll. Das riesenhafte Wesen wirbelte herum und warf seine Axt, die über den Kopf des Chefmeuchlers hinwegsauste und den Dieb hinter ihm traf.
Rerpf duckte sich und gab einem seiner Troll-Gefährten Gelegenheit, mit einer gewaltigen Armbrust anzulegen. Ein speerlanger Bolzen bohrte sich erst durch die Luft und dann in den Körper eines Mörders.
Und das war nur der Anfang…
E s wurde bereits darauf hingewiesen: Wer imstande ist, das ferne Oktarin zu sehen – die achte Farbe, das Pigment der Phantasie –, kann Dinge wahrnehmen, die anderen verborgen bleiben.
Das war auch bei Rincewind der Fall. Er bahnte sich gerade einen Weg durch das Gedränge in den hell erleuchteten Abendbasaren von Morpork, und die Truhe folgte ihm dichtauf. Er rempelte eine hochgewachsene dunkle Gestalt an, drehte den Kopf, um einige passende Flüche zu murmeln – und sah den Tod.
Es mußte der Tod sein. Niemand sonst wanderte mit leeren Augenhöhlen umher, und die Sense bot einen weiteren Anhaltspunkt. Rincewind beobachtete entsetzt, wie ein Liebespaar (es lachte über irgendeinen Witz, den der Zauberer offenbar überhört hatte) durch die Erscheinung schlenderte, ohne sie zu bemerken.
Tod wirkte überrascht, was erstaunlich genug war, denn immerhin zeichnete sich sein Gesicht durch einen auffallenden Mangel an Mimik aus.
RINCEWIND? fragte er. Es klang so dumpf und hohl, als falle tief im Boden eine Tür aus Blei zu.
»Äh«, antwortete der Zauberer und versuchte, vor dem augenlosen Blick zurückzuweichen.
WARUM BIST DU HIER? (Bumm-bumm, pochten Sargdeckel in den von Würmern heimgesuchten finsteren Gewölben unter alten Bergen…) »Äh, warum denn nicht?« erwiderte Rincewind. »Nun, bestimmt hast du viel zu tun. Ich möchte dich nicht aufhalten…«
ICH BIN ÜBERRASCHT, DASS DU MICH ANGESTOSSEN HAST. WEISST DU, HEUTE NACHT HABE ICH EINE VERABREDUNG MIT DIR.
»O nein…«
ICH FINDE ES SEHR ÄRGERLICH, DICH HIER ZU TREFFEN. EIGENTLICH SOLLTEN WIR UNS IN PSEPHOLOPOLIS BEGEGNEN.
»Jene Stadt ist fünfhundert Meilen entfernt!«
DARAN BRAUCHST DU MICH NICHT EIGENS ZU ERINNERN. OFFENBAR IST DAS GANZE SYSTEM ERNEUT DURCHEINANDERGERATEN. DU BIST NICHT ZUFÄLLIG BEREIT HIER DAS ZEITLICHE ZU SEGNEN?
Rincewind taumelte zurück und hob abwehrend die Hände. Der Fischverkäufer an einem benachbarten Stand hielt ihn für verrückt und sah interessiert zu.
»Auf keinen Fall!«
UND WENN ICH DIR EIN SCHNELLES PFERD LEIHE? »Nein!«
DER TOD IST GAR NICHT SO SCHLIMM. GLAUB MIR, ICH
WEISS BESCHEID.
»Nein!« Rincewind drehte sich um und rannte. Tod sah ihm nach und hob verbittert die Schultern.
VERDAMMTER MIST, fluchte er, wandte sich ab und bemerkte den Fischverkäufer. Tod knurrte leise, streckte die Hand aus und hielt das Herz des Mannes an. Es bereitete ihm nicht die erhoffte Genugtuung.
Dann erinnerte er sich daran, was später in dieser Nacht geschehen werde. Es wäre zwar falsch zu behaupten, daß Tod lächelte – seine Züge waren in einem ewigen kalkigen Grinsen erstarrt. Aber er summte eine fröhlich-unheilvolle Melodie und zögerte lange genug, um die Seele einer Eintagsfliege in den jenseitigen Kosmos zu geleiten. Dann befreite er die Katze unter dem Fischstand (alle Katzen können ins oktarine Spektrum sehen) von einem ihrer neun Leben, setzte sich in Bewegung und schritt zur Gebrochenen
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