Die Farben der Zeit
»Katzen haben nämlich nur neun Leben, und du hast bereits sieben davon verbraucht, soweit ich weiß. Du solltest dir ein gefahrloseres Laster zulegen. Rauchen zum Beispiel.«
Prinzessin Arjumand wand sich in meinem Griff. »Du bist noch nicht trocken.« Ich fuhr fort, sie abzureiben. Sie kämpfte weiter dagegen an, und nach einer Minute gab ich sie frei. Würdevoll, wenn auch reichlich mitgenommen, stolzierte sie an Cyril vorbei, setzte sich mitten auf die Bank und begann, sich zu säubern.
Ich legte meine Jacke zum Trocknen über den Bug und sah erneut auf die Taschenuhr. Viertel nach IV. Jetzt mußte ich Verity wecken, obwohl sie anscheinend wie eine Tote schlief, so wenig, wie sie eben von dem Geschehen mitbekommen hatte. Ich ließ die Taschenuhr zuschnappen. Verity öffnete die Augen. »Ned«, sagte sie schläfrig. »Bin ich eingeschlafen?«
»Ja. Fühlen Sie sich jetzt besser?«
»Besser?« fragte sie überlegend. »Was war los?« Sie setzte sich auf. »Ich erinnere mich, daß ich gesprungen bin und…« Ihre Augen weiteten sich. »Zeitkrankheit, stimmt’s? Wegen dieser vielen Sprünge zum Mai und August.« Sie legte die Hand auf die Stirn. »War es schlimm?«
Ich grinste. »Schlimmster Fall, den ich je gesehen habe. Erinnern Sie sich nicht?«
»Nur verschwommen. Der Schleier vor meinen Augen und im Hintergrund so eine Art Sirene…«
»Die Entwarnung«, sagte ich.
»Ja. Und dann so ein pfeifendes Schnauben…«
»Cyril.«
Verity nickte. »Wo sind wir hier?« Sie schaute in die Weiden hoch und dann aufs Wasser.
»Ungefähr eine halbe Meile von Muchings End entfernt«, erklärte ich. »In Ihrer Verfassung war es besser, daß niemand Sie zu Gesicht bekam, bevor Sie nicht etwas Schlaf bekommen hatten. Fühlen Sie sich jetzt besser?«
»Mmmh.« Sie streckte sich. »Warum ist Prinzessin Arjumand so naß?«
»Sie wollte fischen und fiel dabei ins Wasser«, sagte ich.
»Oh.« Verity gähnte.
»Sind Sie sicher, daß es Ihnen besser geht?«
»Ja. Viel besser.«
»Gut.« Ich löste die Leine. »Dann rudern wir besser zurück. Es ist beinahe Teezeit.« Ich nahm die Ruder und manövrierte uns unter den Weiden hervor in die Mitte des Flusses.
»Danke«, sagte Verity. »Ich muß ein übles Bild abgegeben haben. Ich habe doch nicht etwa etwas Peinliches gesagt, oder?«
»Nur, daß Napoleon die Schlacht bei Waterloo wegen seiner Hämorrhoiden verloren hat«, sagte ich und ruderte flußabwärts. »Eine Theorie, die ich an Ihrer Stelle weder Professor Overforce noch Professor Peddick erzählen würde.«
Verity lachte. »Kein Wunder, daß Sie mich entführen mußten. Habe ich Ihnen auch erzählt, was T. J. mit der Schlacht bei Waterloo tut?«
»Nicht genau.«
»Er läßt Simulationen mit Inkonsequenzen laufen«, sagte sie. »Die Schlacht bei Waterloo gehört zu den Schlachten, die bis ins kleinste analysiert worden sind. In den zwanziger Jahren entstand eine ausgefeilte Computersimulation davon.« Sie beugte sich vor. »T. J. benutzt sie und baut Inkonsequenzen ein, die den Lauf der Dinge verändern könnten. Sie wissen schon – was wäre, wenn Napoleon Ney eine leserliche Nachricht geschickt hatte? Was, wenn d’Erlon verwundet worden wäre?«
»Was, wenn Napoleon keine Hämorrhoiden gehabt hätte?«
Verity schüttelte den Kopf. »Nur Dinge, die ein Historiker bewirken kann«, sagte sie. »Nachrichten verändern oder Musketen abfeuern. Außerdem vergleicht T. J. die auftretenden Schlupfverluste mit unserer Inkonsequenz.«
»Und?«
»Er ist erst am Anfang«, sagte sie abwehrend. »Außerdem sind es reine Theorien.« Was hieß, sie wollte es mir nicht sagen.
»Hat Miss Warder Ihnen gesagt, wie hoch der Verlust bei unserem Sprung war?«
»Ja. Neun Minuten.«
Neun Minuten.
»Und was ist mit Ihren Sprüngen zum Mai und August?«
»Unterschiedlich. Im Durchschnitt sechzehn Minuten. Das deckt sich mit früheren Sprüngen in diese Zeit.«
Inzwischen hatten wir Muchings End fast erreicht. Ich zog die Taschenuhr heraus und schaute darauf. »Wir sind rechtzeitig zum Tee zurück«, sagte ich. »Also wird man uns keine Fragen stellen. Falls doch, behaupten wir, wir seien nach Streatley gerudert, um Ankündigungen für den Basar aufzuhängen.« Ich zog mein feuchtes Jackett an, und Verity ordnete ihr Haar und setzte den Hut auf.
Sechzehn Minuten, und neun bei Veritys Sprung. Selbst wenn ihr Sprung einen durchschnittlichen Schlupfverlust aufgewiesen hätte, wäre sie zu spät oder zu früh dran gewesen,
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