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Die Farben der Zeit

Die Farben der Zeit

Titel: Die Farben der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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verschwand.
    »Wieso hält der Zug so lange?« fragte sie. »Wir hätten einen Eilzug nehmen sollen. Verity, dieser Schal wärmt überhaupt nicht. Du hättest Jane bitten sollen, den Kaschmirschal zu bringen.«
    Der Zug fuhr wieder an, und nach ein paar Minuten erschien Baine, der aussah, als sei er ihm nachgerannt. »Leider hatten sie keine Zitrone, Madam«, sagte er und zog eine Milchflasche aus der Tasche. »Möchten Sie statt dessen Milch?«
    »Von Gott-weiß-was für einer Kuh? Ich kann mich beherrschen. Dieser Tee ist lauwarm.«
    Baine zauberte einen Spirituskocher hervor und begann, Wasser zu erhitzen, während Mrs. Mering in der Runde nach weiteren Opfern Ausschau hielt. »Mr. St. Trewes«, sagte sie zu Terence, der sich hinter seinem Gedichtband verschanzt hatte, »es ist viel zu dunkel im Abteil, um zu lesen. Sie werden sich die Augen verderben.«
    Terence klappte das Buch zu und steckte es in die Tasche, mit dem Gesicht eines Mannes, dem langsam dämmerte, worauf er sich eingelassen hatte. Baine zündete die Lampen an und goß Tee nach.
    »Ich bin von Langweilern umgeben«, stellte Mrs. Mering fest. »Mr. Henry, erzählen Sie uns doch von den Vereinigten Staaten. Mrs. Chattisbourne sagte, Sie hätten drüben im Westen gegen Rothäute gekämpft.«
    »Nur kurz«, sagte ich und überlegte, ob sie als nächstes nach dem Skalpieren fragen würde, aber sie wollte auf etwas anderes hinaus.
    »Hatten Sie Gelegenheit, in San Francisco eine der Seancen von Baroness Eusapia mitzuerleben?« fragte sie.
    »Leider nein.«
    »Schade«, sagte sie, und ihre Stimme machte deutlich, daß ich die beste aller Touristenattraktionen verpaßt hatte. »Eusapia ist berühmt für ihre Apportationen.«
    »Apportationen?« fragte Terence.
    »Gegenstände, die von fernen Orten durch die Luft apportiert werden«, sagte Mrs. Mering.
    Aha, dachte ich. Jetzt wissen wir, was mit des Bischofs Vogeltränke passiert ist. Man hat sie zu einer Seance nach San Francisco apportiert.
    »… Blumen und Fotografien«, erklärte Mrs. Mering gerade. »Und einmal apportierte sie ein Spatzennest von China herüber. Mit einem Spatzen darin!«
    »Woher wußte man, daß es ein chinesischer Spatz war?« fragte Terence zweifelnd. »Hat er etwa in chinesisch getschilpt? Woher wollen Sie wissen, daß es kein kalifornischer Spatz war?«
    »Stimmt es, daß die Dienstboten in Amerika nicht wissen, was sich ziemt?« fragte Tossie und schaute zu Baine. »Und daß ihre Damen ihnen gestatten, Meinungen über Erziehung und Kunst zu äußern, als seien sie ihresgleichen?«
    Es sah danach aus, als bräche das Universum genau jetzt in diesem Abteil zusammen. »Ich… äh…« sagte ich.
    »Haben Sie einen Geist gesehen, Tante Malvinia, während Sie Ihre Vorsehung hatten?« versuchte Verity das Thema zu wechseln.
    »Nein, es…« erwiderte Mrs. Mering und bekam wieder diesen seltsamen nach innen gerichteten Blick. »Baine, wie oft hält dieser fürchterliche Zug noch?«
    »Achtmal, Madam«, sagte er.
    »Bis wir zu Hause sind, werden wir stocksteif gefroren sein. Gehen Sie und sagen Sie dem Schaffner, er soll uns einen Ofen bringen. Und holen Sie eine Decke für meine Knie.«
    Und so weiter und so fort. Baine holte die Decke und warme Ziegel für Mrs. Merings Füße sowie ein Pulver für die Kopfschmerzen, die Mrs. Mering uns allen verursacht hatte, das sie aber selbst einnahm.
    »Ich hoffe doch sehr, Sie beabsichtigen nicht, nach Ihrer Heirat weiter Hunde zu halten«, sagte sie zu Terence und wies ihn an, die Lampen herunterzudrehen, weil ihr das Licht in den Augen schmerzte. Am nächsten Bahnhof schickte sie Baine eine Zeitung kaufen. »Meine Vorahnung sagt mir, daß etwas Schreckliches passiert ist. Vielleicht ein Raub. Oder ein Feuer.«
    »Ich dachte, deine Vorahnung hätte etwas mit Wasser zu tun gehabt«, sagte Tossie.
    »Feuer werden mit Wasser gelöscht«, entgegnete Mrs. Mering würdevoll.
    Als Baine hereinkam, sah er wieder aus, als hätte er ums Haar den Zug verpaßt. »Ihre Zeitung, Madam.«
    »Nicht die Oxford Chronicle«, sagte Mrs. Mering und fegte sie beiseite. »Die Times.«
    »Der Zeitungsjunge hatte die Times nicht«, erwiderte Baine. »Ich werde schauen, ob im Raucherwagen eine Ausgabe liegt.«
    Mrs. Mering sank ins Polster zurück. Terence nahm die verschmähte Oxford Chronicle und fing an, darin zu lesen. Tossie fuhr fort, weiter gelangweilt aus dem Fenster zu schauen.
    »Es ist stickig hier drin«, sagte Mrs. Mering. »Verity, hol mir meinen

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