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Die Farben der Zeit

Die Farben der Zeit

Titel: Die Farben der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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daß es unmöglich war. Oxford hatte niemals Touristenführungen zugelassen, nicht einmal in der guten alten Zeit, und das Netz ebensowenig.
    Sie wußte das. »Versteh doch«, sagte sie verzweifelt. »Es wird ihn umbringen.«
    Die Tür öffnete sich, und ein magerer, kleingewachsener junger Mann mit asiatischen Gesichtszügen kam herein. »Jim – hast du die Parameter für…«
    Er hielt inne und starrte Lizzie an. Offenbar hatte sie in Oxford einen richtigen Verehrerschwarm gehabt. Wie Zuleika Dobson. [77]
    »Hallo, Shoji«, sagte Lizzie.
    »Hallo, Liz«, sagte er. »Was machst du hier?«
    »Wie ist das Gespräch mit Prudence verlaufen?« wollte Jim wissen.
    »Wie nicht anders zu erwarten. Nun macht ihm der Schlupfverlust Sorgen. Wie entsteht er? Warum variiert er so oft?« Seine Stimme wurde affektiert, eine Imitation von Lassiter. »›Wir müssen alle möglichen Konsequenzen in Erwägung ziehen, bevor wir zu handeln beginnen.‹« Dann klang er wieder wie er selbst. »Er will eine komplette Analyse aller jemals durchgeführten Sprünge und ihrer Schlupfverluste, bevor er überhaupt einen neuen Sprung in Betracht zieht.« Er begab sich aus meinem Blickfeld zu den Computern hinüber.
    »Das ist doch nicht dein Ernst«, sagte Jim und folgte ihm. »Dazu brauchen wir mindestens sechs Monate. Wir kommen nirgendwo mehr hin.«
    »Was wohl auch so beabsichtigt ist«, meinte Shoji, setzte sich vor den mittleren Monitor und begann zu tippen. »Wenn wir nirgendwohin springen, gibt’s auch kein Risiko. Warum sind die Schleier unten?«
    Es existierte keine Aufzeichnung über einen Zeitreisenden aus der Zukunft oder der Vergangenheit, der sich plötzlich im Labor von Balliol materialisiert hätte. Was hieß, daß ich entweder nicht entdeckt werden würde oder mit einer absolut überzeugenden Geschichte aufwarten konnte. Fieberhaft versuchte ich, mir eine auszudenken.
    »Wenn wir nirgends hinspringen«, sagte Jim, »wie können wir dann überhaupt etwas über Zeitreisen herausfinden? Hast du ihm gesagt, daß Wissenschaft Experimente erfordert?«
    Shoji hämmerte auf die Tasten. »›Wir reden nicht von einem Chemielabor, Mr. Fujisaki‹«, sagte er mit wieder gezierter Stimme, während er tippte. »›Wir reden vom Raumzeitgefüge.‹«
    Die Vorhänge begannen sich ruckelnd zu heben.
    »Das weiß ich«, erwiderte Jim. »Aber…«
    »Jim«, sagte Lizzie, immer noch außer Sicht, aber nicht lange, und beide drehten sich nach ihr um. »Fragst du ihn wenigstens? Es bedeutet…«
    Und ich fand mich in einer Ecke von Blackwell’s Buchhandlung wieder. Das dunkle Holz und die bis zur Decke reichenden Bücherregale waren nicht nur sofort erkennbar, sondern zeitlos, und für einen Moment dachte ich, ich hätte es ins Jahr 2057 geschafft und könnte einfach über die Broad Street zum Balliol sprinten, aber als ich um die Ecke des Regals blickte, begriff ich, daß es so einfach nicht sein würde. Durch die Rundbogenfenster sah ich Schnee. Und vor dem Sheldonia-Theater parkte ein Daimler.
    Weder einundzwanzigstes Jahrhundert noch, wenn ich mich so umschaute, das Ende des zwanzigsten. Keine Monitore, keine Taschenbücher, keine Heftchen. Leinengebundene Bücher, die meisten ohne Schutzumschläge, in Blau, Grün und Braun.
    Und eine Verkäuferin, die sich, einen Notizblock in der Hand und einen gelben Bleistift hinterm Ohr, zu mir niederbeugte.
    Es war zu spät, um sich in eine Ecke zu ducken. Sie hatte mich bereits gesehen. Glücklicherweise unterliegt Herrenkleidung über die Jahre im Gegensatz zur Damenmode nicht so vielen Veränderungen, und Bootsblazer und Flanellhosen sind auch heute im Straßenbild von Oxford zu sehen, wenn auch nicht unbedingt im tiefsten Winter. Mit Glück konnte ich als Erstsemester durchgehen.
    Die Verkäuferin trug ein locker fallendes Matrosenkleid, das Verity bestimmt auf den Monat genau hätte bestimmen können, aber für mich sah im mittleren zwanzigsten Jahrhundert alles gleich aus. 1950? Nein, ihr Bleistift geschmücktes Haar war zu einem straffen Knoten geschlungen und ihre Schuhe geschnürt. Frühe 1940er?
    Nein, die Fensterscheiben waren intakt, es gab keine Verdunklungsrollos, keinen Stapel Sandsäcke vor der Tür, und die Verkäuferin sah entschieden zu blühend für die Nachkriegszeit aus. Also die Dreißiger.
    Die Dreißiger waren Veritys reguläres Arbeitsgebiet. Vielleicht hatte mich das Netz versehentlich zu einem der Koordinaten ihrer alten Sprünge geschickt. Oder sie war hier.
    Nein, das

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