Die Farben der Zeit
dürftige Ausrede, denn ich hatte vor kurzem erst erklärt, daß mein Arzt mir wegen meiner angegriffenen Gesundheit eine Reise auf dem Fluß verordnet hatte. »Sie sagte, ich solle an Land schlafen.«
»Sie?« fragte Terence, und mir fiel zu spät ein, daß es im victorianischen Zeitalter keine weiblichen Ärzte gegeben hatte. Und auch keine weiblichen Anwälte oder Premierminister.
»Mein Arzt. James Dunworthy. Er sagte, ich sollte an Land und allein schlafen.«
Terence richtete sich auf, die Laterne am Griff haltend. »Ich bin mir sicher, daß Dawson zwei eingepackt hat. Ich habe ihm dabei zugesehen. Wo kann die andere bloß stecken?«
Er nahm den Glaszylinder ab, zündete ein Streichholz an und richtete den Docht. Ich beobachtete seine Handgriffe genau.
Professor Peddick kam zurück, den Kessel mit zwei Fischen darin bei sich.
»Ich muß unbedingt Professor Edelswein von meinen Entdeckungen berichten. Bislang hielt man Ugubio fluviatilis albinus in der Themse für ausgestorben.« Er betrachtete im Halbdunkel die Fische. »Zwei wunderbare Exemplare.« Damit stellte er den Kessel auf den Korb und holte seine Pfeife heraus.
»Sollten wir nicht schlafen gehen?« schlug ich vor. »Wegen morgen früh und so?«
»Ganz genau.« Professor Peddick öffnete die Tabakdose. »Ein ausgiebiger Nachtschlaf kann alles entscheidend sein. Die Griechen bei Salamis schliefen in der Nacht vor der Schlacht tief und fest.« Er füllte die Pfeife mit Tabak und stopfte ihn mit dem Daumen fest. Nun holte Terence ebenfalls seine Pfeife heraus. »Die Perser hingegen verbrachten die Nacht auf See, um ihre Schiffe in die richtige Position zu bringen, damit die Griechen nicht entfliehen konnten.« Er zündete die Pfeife an und sog daran, um sie zum Glimmen zu bringen.
»So war’s. Und die Perser wurden vernichtet geschlagen«, sagte ich. »Das soll uns nicht passieren. Auf dann!« Ich stand auf. »Ab ins Bett!«
»Die Sachsen bei Hastings auch«, fuhr der Professor fort und reichte Terence seinen Tabaksbeutel. »Die Truppen Wilhelm des Eroberers waren ausgeruht und bereit zur Schlacht, während die Sachsen einen Marsch von elf Tagen hinter sich hatten. Wenn Harold gewartet und seinen Mannen erlaubt hätte, sich auszuruhen, hätte er vielleicht die Schlacht von Hastings gewonnen und damit den ganzen Verlauf der Geschichte verändert!«
Wie ich auch, wenn es mir nicht gelingt, die Katze zurückzubringen, dachte ich. Terence und Professor Peddick hatten sich wieder hingesetzt.
»Nun, wir wollen doch morgen keine Schlacht verlieren«, sagte ich in einem neuerlichen Anlauf. »Also gehen wir am besten schlafen!«
»Individuelle Handlungen«, fuhr Professor Peddick fort und paffte an seiner Pfeife. »Deshalb ging die Schlacht von Hastings verloren. Die Sachsen hatten nämlich einen Vorteil. Ihre Truppen waren auf einem Bergkamm zusammengezogen. Auf einer erhöhten Verteidigungslinie zu stehen, ist der größte militärische Vorteil, den eine Armee haben kann. Denken Sie an Wellington bei Waterloo oder die Schlacht bei Fredericksburg im amerikanischen Bürgerkrieg. Dort verlor die Union zwölftausend Mann, weil sie über offenes Gelände auf eine verteidigte Anhöhe zumarschierte. Und England war reicher, hier auf eigenem Grund und Boden. Würde ökonomische Macht die Geschichte lenken, hätten die Sachsen gewinnen müssen. Aber das war es nicht, was die Schlacht von Hastings entschied. Die Persönlichkeit war es. Wilhelm der Eroberer veränderte den Verlauf der Schlacht an mindestens zwei kritischen Punkten. Der erste war, als Wilhelm während eines Angriffs vom Pferd geschleudert wurde.«
Cyril legte sich nieder und begann zu schnarchen.
»Wäre er nicht unverzüglich auf die Beine gekommen und hätte seinen Helm aufgeklappt, damit seine Männer sehen konnten, daß er noch lebte, wäre die Schlacht verloren gewesen. Wie will Overforce so etwas mit seiner Theorie der blinden Naturgewalten erklären? Er kann es nicht! Geschichte wird durch Persönlichkeiten bestimmt, was der zweite kritische Punkt der Schlacht bei Hastings beweist.«
Es dauerte eine geschlagene Stunde, bevor die beiden den Tabak aus ihren Pfeifen klopften und sich in Richtung Boot begaben. Auf halbem Weg drehte sich Terence um und kam noch einmal zurück. »Vielleicht solltest du besser die Laterne nehmen«, sagte er und hielt sie mir hin. »Wo du doch am Ufer schläfst.«
»Ich komme auch ohne sie gut aus«, erwiderte ich. »Gute Nacht.«
»Gute Nacht«, sagte er,
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