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Die Farben der Zeit

Die Farben der Zeit

Titel: Die Farben der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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Geschichte ausdenken, wie ich die Katze dabei zufällig am Ufer gefunden hätte. Wenn ich gewußt hätte, daß sie bei mir war. Wenn ich so schlau gewesen wäre, einmal in mein Gepäck zu schauen. Idiotisch, idiotisch, idiotisch.
    Die Katze räkelte sich. Sie gähnte und dehnte sich geruhsam, wobei sie ein weißes Pfötchen ausstreckte. Ich beugte mich über den Korb, um ihre andere Pfote zu betrachten, sah aber nichts außer schwarzem Fell.
    Ein Gedanke schoß jäh mir in den Sinn. Vielleicht war es gar nicht Prinzessin Arjumand? Tossie hatte gesagt, sie sei schwarz und hätte ein weißes Gesicht, aber mit Sicherheit liefen im Jahr 1888 Hunderte, wenn nicht Tausende solcher Katzen herum. Sie mußten die Kätzchen ertränken, um ihre Anzahl in Schach zu halten.
    »Prinzessin Arjumand?« fragte ich versuchsweise.
    In ihren grauen Augen flackerte es nicht einmal.
    »Prinzessin Arjumand.« Diesmal klang meine Stimme entschiedener, und die Katze schloß die Augen.
    Nein, es war nicht Prinzessin Arjumand. Sie gehörte dem Schleusenwärter oder dem Kirchenvorsteher, und sie war in den Korb gekrochen, während wir in Iffley die Kirche besichtigten.
    Die Katze gähnte erneut, wobei eine rosa Zunge und eine Reihe scharfer kleiner Zähne sichtbar wurden.
    Cyril wich zurück wie ein Luftschutzhelfer, vor dessen Füßen eine Brandbombe liegt.
    Die Katze stieg aus dem Korb und schlenderte auf vier weißen Pfoten davon, die weiße Schwanzspitze hoch in die Luft erhoben. Auf ihren Hinterläufen war das Fell ebenfalls weiß, wodurch sie aussah, als trüge sie enganliegende lange Hosen. Tossie hat das nicht erwähnt, dachte ich hoffnungsvoll, erinnerte mich aber daran, daß wir uns im victorianischen Zeitalter befanden. Hier sprachen wohlerzogene Menschen nicht über Hosen oder Unterwäsche im allgemeinen. Und wie viele weißpfotige Katzen mochte es geben, die sich in meinen Korb schleichen und den Deckel von innen schließen konnten?
    Die Katze befand sich am Rand der Lichtung.
    »Warte!« rief ich. »Prinzessin Arjumand!« Dann erinnerte ich mich an das richtige Wort. »Halt!« sagte ich mit energischer Stimme. »HALT!«
    Die Katze lief weiter.
    »Komm zurück«, befahl ich. »Halt. Stehenbleiben. Brrrh!«
    Die Katze drehte sich um und schaute mich mit neugierigen Augen an.
    »So ist’s gut«, sagte ich und näherte mich ihr vorsichtig. »Brave Katze.«
    Sie setzte sich auf die Hinterbeine und fing an, ihre Pfote zu lecken.
    »Ganz brave Katze.« Ich kam immer näher. »Halt… halt. So ist’s gut.«
    Ich war kaum dreißig Zentimeter von ihr entfernt.
    »Brav… warte… braves Kätzchen…« murmelte ich und hechtete vorwärts, um sie zu packen.
    Die Katze sprang leichtfüßig auf und verschwand zwischen den Bäumen.
    »Hör mal, hast du ihn schon gefunden?« rief Terence vom Ufer her.
    Ich setzte mich wieder auf, klopfte den Staub von den Ärmeln und blickte Cyril an. »Wehe, du sagst jetzt ein Wort«, sagte ich und erhob mich.
    Terence erschien mit der Dose Pfirsiche in der Hand. »Ach, hier steckst du«, sagte er. »Glück gehabt?«
    »Nicht im geringsten.« Rasch ging ich zum Gepäck zurück. »Ich wollte sagen, ich habe noch nicht alles durchsucht.«
    Damit warf ich den Deckel des Weidenkorbs zu und öffnete in der flehentlichen Hoffnung, daß er nichts Überraschendes enthielt, den Rucksack. Er barg nichts Besonderes, lediglich ein paar Schnürstiefel in höchstens Größe sechsunddreißig, ein großes gepunktetes Taschentuch, drei Fischgabeln, einen filigranen Schöpflöffel und eine Schneckenzange. »Tut’s das hier?« Ich hielt die Gegenstände hoch.
    Terence durchwühlte den Freßkorb. »Glaub ich kaum… ah, hier haben wir ihn.« Er zog das sichelartige Gerät mit dem roten Griff heraus. »Oh, du hast einen Stilton mitgebracht. Hervorragend.« Er verschwand, Büchsenöffner und Käse umklammernd, und ich kehrte zum Rand der Lichtung zurück.
    Von der Katze war nichts zu entdecken. »Miez, miez, Prinzessin Arjumand«, sagte ich und hob das Laubwerk hoch, um ins Unterholz der Büsche sehen zu können. »Komm, sei ein braves Mädchen.«
    Cyril stöberte mit der Schnauze in einen Busch, ein Vogel flatterte hoch.
    »Komm, komm, Kätzchen«, lockte ich. »Bei Fuß.«
    »Ned! Cyril!« rief Terence. Ich ließ den Ast fallen. »Das Wasser kocht!« Wieder erschien er, die offene Dose Pfirsiche in den Händen. »Worauf wartest du?«
    »Ich wollte ein bißchen Ordnung schaffen«, sagte ich und steckte die Schneckenzange in einen

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