Die Farben des Chaos
nachdem der Erzmagier es unlängst benutzt hatte. »Anya hat gewisse Vorgänge in Spidlar beobachtet und mir mitgeteilt, dass unser Nachbar, der Vicomte Rystryr, offenbar einige Dinge glatt übersehen hat. Fydel habe ich hinzugebeten, weil er in Gallos zu tun bekommen wird.«
Kinowins Augenbrauen zuckten, aber der Obermagier schwieg.
»Wir wollen es uns jetzt anschauen.« Jeslek deutete zum Spähglas, auf dem sich sofort die weißen Schleier teilten und den Blick auf das herbstlich braune Gras der Hochlandwiesen irgendwo nördlich von Fenard und südlich von Elparta freigaben. Mitten auf dem Spiegel war der Wagen eines Händlers zu sehen, der langsam nach Süden fuhr. Eine rothaarige Frau lenkte den Wagen, ein Mann ritt gebeugt und in einen dunklen Mantel gehüllt neben ihr.
Auf der Hügelkuppe wartete eine andere Gruppe von Menschen, die in die dunkelgrünen Gewänder von Certis gekleidet waren. Als der Wagen sich der Hügelkuppe näherte, schwärmten die Reiter aus und griffen die Händler an.
Die rothaarige Frau hielt den Wagen sofort an; von der Ladefläche erhoben sich zwei Männer mit Bogen, warfen braune Tücher zur Seite und feuerten ihre Pfeile auf die angreifenden Reiter ab. Die rothaarige Frau hatte auf einmal zwei Schwerter in der Hand und hinter den Angreifern tauchten spidlarische Wächter auf, angeführt von einem blonden Riesen, der links und rechts die Gegner niedermähte wie Grashalme.
Kein einziger certischer Angreifer überlebte. Als die Schaufeln hervorgeholt wurden, um die Toten zu begraben, winkte Jeslek mit der Hand und das Bild verblasste im Spiegel. »Pah, das war überhaupt keine Magie. Nur gute Taktik und kluge Planung. Aber wenn es keine Überlebenden gibt und keine Leichen gefunden werden, wird sich das Gerücht verbreiten, die Spidlarer hätten Magie eingesetzt.«
»Es hilft uns nicht weiter, wenn wir dies dem Vicomte oder dem Präfekten mitteilen«, bemerkte Anya, die dicht am Fenster saß.
»Und es wird auch nicht helfen, dass wir mehr als eine Jahreszeit und unsere Magie gebraucht haben, um es herauszufinden«, fügte Fydel hinzu. »Immerhin haben sie in den letzten zwei Jahreszeiten angeblich fast einhundert Männer verloren.«
»Wissen wir, wer dafür verantwortlich ist?« erkundigte Cerryl sich vorsichtig und mit einem Nicken in Richtung des Erzmagiers. »Abgesehen vom Offensichtlichen, meine ich?« Er deutete zum leeren Spiegel.
»Unsere … unsere Quellen in Spidlar deuten darauf hin, dass der größte Schaden von einem Trupp angerichtet wird, der im letzten Frühling eigens zu diesem Zweck aufgestellt wurde. Angeblich sind der Truppführer und seine Vertreterin Verbannte aus Recluce. Es sind der große blonde Kämpfer und die Rothaarige, die den Wagen gelenkt hat.«
»Angeblich? Das ist herrlich. Recluce wirft zwei Leute hinaus, und die beiden sind rein zufällig genau am richtigen Ort, um uns in die Quere zu kommen. Glaubt Ihr wirklich an solche Zufälle, verehrter Jeslek?«, fragte Fydel.
Jeslek ging nicht auf Fydels anmaßenden Tonfall ein. »Ich sagte ›angeblich‹. Außerdem gibt es noch einen Schwarzen Magier, der in Spidlar als Schmied arbeitet. Vielleicht erinnert Ihr Euch an seinen Namen, Fydel. Er hieß Dorrin, nicht wahr?«
»Ich glaube schon«, antwortete Fydel unwirsch.
Cerryl wäre beinahe zusammengezuckt.
»Und was habt Ihr jetzt vor?«, fragte Redark.
»Im Augenblick … überhaupt nichts.« Der Erzmagier hob eine Hand, wie um Einwänden zuvorzukommen. »Ich spiele nicht auf Zeit wie Jenred. Aber will einer von Euch wirklich im Winter Krieg führen? Der Herbst nähert sich bereits dem Ende.«
Die anderen Magier schüttelten die Köpfe, Kinowin runzelte nachdenklich die Stirn.
»Sobald die Straßen im Frühling wieder frei sind, werde ich persönlich unsere Streitkräfte bei der Invasion Spidlars anführen. Jetzt, während des Winters, sollten wir uns bemühen, den Handel so nachhaltig wie möglich zu stören, und natürlich müssen wir auch jede Einmischung von Recluce unterbinden. Die neuen Schiffe dürften uns dabei gelegen kommen.« Jeslek wandte sich lächelnd an Fydel, dann an Redark. »Wir müssen dafür sorgen, dass es ein harter Winter in Spidlar wird. Und wir müssen den Winter nutzen, um den anderen Ländern im Osten Candars zu verdeutlichen, dass sie schleunigst die Goldstücke abliefern sollten, die sie uns schulden.«
»Spidlar ist nicht der Feind, Recluce ist der Feind«, erinnerte Fydel ihn.
»Wir wissen, wer die wahren Feinde
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