Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)
sehr dünn. Nur zu, beißen Sie hinein.« Ich breche den Kopf ab und reiche ihn Cornelius Soul. Er kaut und schluckt. Wir teilen uns den Rest des Körpers und brechen den Rock und das Mieder in Stücke. Das Ingwerbrot ist fest und schmeckt köstlich und hinterlässt einen warmen, würzigen Geschmack an meinem Gaumen.
Die Kutsche rollt und ruckelt.
»Wo sind wir jetzt?«, frage ich. Cornelius Soul streckt den Kopf aus dem Fenster, und es wird einen Moment lang dunkel.
»Wir haben gerade auf der neuen Brücke in Westminster den Fluss überquert«, sagt er und lehnt sich auf dem Sitz mir gegenüber wieder zurück. »Jetzt fahren wir durch das Gesträuch hinter der Zollschranke.« Über das Rattern und Rumpeln der Räder hinweg höre ich eine Möwe kreischen. »Neulich hat es hier einen Raubüberfall gegeben. Ich habe in der Zeitung davon gelesen«, sagt er. »Aber da Sie einen starken Mann an Ihrer Seite haben, besteht kein Grund zur Besorgnis«, fügt er augenzwinkernd hinzu. Zum Aussteigen aus der Droschke reicht er mir seine Hand. Ich trage die neuen Ziegenlederhandschuhe, die ich nie zum Arbeiten benutzt habe – jene, die Mr. Blacklock mir geschenkt hat.
Eine grell herausgeputzte Frau schnappt ihm am Tor die Schillinge aus der Hand. Sie ist so weiß geschminkt und gepudert, dass ich ihr Gesicht darunter überhaupt nicht erkennen kann. »Wenn du fertig geglotzt hast, geh durch das Drehkreuz«, fährt sie mich an und verdreht die Augen in Richtung der Leute hinter uns. Erst als ich mich von ihr abwende, komme ich auf den Gedanken, dass sie ein als Frau verkleideter Mann sein muss. Wie verwirrend die Welt ist, denke ich.
Wir spazieren unter freiem Himmel eine Ulmenallee entlang, deren Bäume so gleichmäßig angeordnet sind, dass ich es kaum glauben kann. Auf beiden Seiten sehe ich staubige Kieswege, Mauern, große Gewölbegänge und Pavillons. Es ist, als wären wir in einem anderen Land. Ein Spatz zirpt.
So weit das Auge reicht, erstrecken sich im Abendlicht Beete mit Frührosen und Gartenwicken in Rosa- und Weißtönen. Der Boden ist hell und sandig. Ich sehe Spargel und Stachelbeersträucher. Bienen fliegen zwischen den Blüten hin und her, und ein moschusartiger, cremeartiger Blumenduft erfüllt meinen Kopf und schlägt mich in seinen Bann.
Als ich glaube, dass er es nicht merkt, schaue ich Cornelius Soul verstohlen von der Seite an. Seine Nase ist schmal und scharf, und sein seidiges weißes Haar bewegt sich beim Gehen in der leisesten Brise. Ist er wirklich betrügerisch, frage ich mich, dieser Versuch, die Aufmerksamkeit eines Mannes auf sich zu ziehen?
»Behandelt Blacklock Sie anständig?«, fragt Cornelius Soul. Er legt sich eine Münze auf die Handfläche, lässt sie in die Luft schnellen und fängt sie wieder auf. »Sind Ihre Konditionen angemessen? Die Verpflegung? Die Unterkunft?«
»Er ist ein tadelloser Dienstherr«, antworte ich. »Sehen Sie sich diese Frauen an! Ihre Kleider sind so elegant!«
»Und läuft das Geschäft gut?«
»Ja, das tut es.« Ich sehe Brokatstoffe, Satin und Moiréseide.
»Und Ihr neuer Lieferant ist ein ehrenwerterer Mann als ich?« Ich muss unwillkürlich lachen, als er das sagt.
»Läuft Ihr Geschäft andernorts so schlecht, dass Sie verbittert sein müssen?«, frage ich spöttisch. Er lächelt kurz, nimmt meine Hand und legt sie auf seinen Arm. Ich ziehe sie nicht zurück. Ich kann seine Wärme unter dem Samtstoff fühlen. Ich sehe, dass der Rock an den Ärmelaufschlägen so abgenutzt ist, als würde er ihn schon lange tragen. Für einen Mann hat er einen schlanken Arm, doch dieser ist drahtig und stark. Ich denke an die sanfte Ruhe seiner Mutter und an den Brotlaib, der in fünf Stücke geschnitten war.
»Ich verliere nicht gerne Geschäfte oder Kämpfe. Zeigen Sie mir einen Mann, dem das gefällt«, sagt er. Der Boden knirscht trocken unter unseren Stiefeln, die den Staub aufwirbeln. Die Mailuft ist warm, und die eng zusammengedrückten Sprungfedern in meiner Brust wickeln sich im Sonnenschein auf wie die grünen Keime der Ackerwinde. Leise Musik dringt durch die Bäume, und als sie verstummt, weht ein applaudierendes Klatschen herüber. Bin ich verliebt? Jedenfalls nicht so, dass mir schwindelt. Nein, ich weiß, ich bin es nicht, obwohl sich mir der Magen vor Nervosität und Aufregung zusammenzieht, wenn ich an meinen Plan denke.
»Sie können sie doch nicht einfach abpflücken!«, rufe ich, als Cornelius Soul sich über die getrimmte Hecke beugt, eine
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