Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)
näher an sich.
»Cornelius Soul!«, sage ich. Beinahe verliere ich das Gleichgewicht, als ich ihn lachend zurückschiebe.
Wir werden mit der Menge fortgeschwemmt und sehen, wie die Leute aus der Oberschicht in ihren Logen zu Abend essen.
»Wie laut und prahlerisch sie auftreten!«, sagt Cornelius Soul vergnügt. »Aalen sich in törichter Weise in unserer Aufmerksamkeit wie Schafe, die in der Sonne faulenzen, drall und zufrieden mit ihrer Vorstellung von der Welt.«
Ich beobachte zwei Herren, die ein gekochtes Huhn zerlegen und mit den Teilen herumfuchteln. Dann erheben sie ihre mit Wein gefüllten Humpen und prosten sich lautstark zu. Eine Dame stochert in dem Salat auf ihrem Teller herum. Die Perücke und die Federn auf ihrem Kopf zittern, wenn sie den Kopf hin und her wendet, um der Unterhaltung der Herren zu folgen.
»Lassen Sie uns zur Rotunde gehen und ein oder zwei Lieder hören, die uns den Kopf frei machen!«, schlägt Cornelius Soul augenzwinkernd vor. Wir finden eine Bank. »Setzen Sie sich«, sagt er und holt uns Rumpunsch in dickwandigen Gläsern.
»Was ist das?«, frage ich und halte das Glas ein wenig schräg, um die Farbe zu erkennen.
»Rum, verfeinert mit Maulbeerfrüchten«, erklärt er. Ich nippe an dem süßen Getränk, bis sich die Lichter in den Logen vor meinen Augen zu drehen beginnen.
In der Rotunde singt eine Frau wie ein Vogel. Ihre Stimme vibriert und erhebt sich in schwindelnde Höhen, als sie den Höhepunkt des Liedes erreicht. Einmal spüre ich, wie sich das Kind in meinem Bauch bewegt, als würde es zuhören. Und ich sehe eine Träne glitzern, die jemandem vor mir über die Wange läuft. Ich denke an die rissigen Hände von Mrs. Nott.
»Sich vorzustellen, mit seinem großartigen Können seinen Lebensunterhalt zu verdienen, so, wie sie es tut!«, sage ich in begeistertem Erstaunen, als sie sich zum letzten Mal verbeugt und der Applaus abebbt.
Cornelius Soul nickt. »Sie hat eine besondere Gabe.«
Der Punsch ist mir zu Kopf gestiegen, und mein Gesicht fühlt sich heiß an. Ich habe Lust, ihn ein wenig zu necken, und sage: »Aber ich vermute, Mr. Soul, Sie sind der Ansicht, dass eine Frau nicht in einen ernsthaften Beruf gehört, sondern sich um die Kinder kümmern und dafür sorgen sollte, dass eine Mahlzeit auf dem blank geschrubbten Tisch steht, wenn ihr Ehemann müde von der Arbeit heimkehrt, oder, Mr. Soul?« Ich nehme noch einen Schluck von meinem Punsch. »Und wenn sie damit fertig ist, die Hemden zu flicken und das Fett aus den Töpfen zu spülen, könnte sie doch – falls sie ein Händchen für Zahlen hat – ihre freien Momente sinnvoll nutzen, um die Rechnungen des Fleischers, des Kaufmanns und des Steuereintreibers durchzusehen.«
Cornelius Soul runzelt die Stirn.
»Falsch, Miss Trussel! Ich kenne keinen Grund, warum eine Frau nicht in einem Geschäft arbeiten sollte, falls sie den Kopf dafür hat und ihr danach zumute ist«, erklärt er.
»In was für einer Art Unternehmen?«
»Ich kenne einen Mann namens Walter Johns, dem die Pulvermühlen des Klosters in Essex gehören. Er hat das Unternehmen von seiner Mutter Pip geerbt, die es jahrelang mit großer Umsicht führte. In Friedenszeiten hat diese Frau die Produktion von sechstausend Fässern Schießpulver pro Jahr beaufsichtigt. In Kriegszeiten wäre die Menge noch viermal höher gewesen, und zweifellos hätte sie auch das bewundernswert unter Kontrolle gehabt.« Er beugt sich vor. »Es ist der Handelsstand, der die Macht besitzt, Dinge zu verändern«, sagt Cornelius Soul und fügt herausfordernd hinzu: »Damit haben Sie nicht gerechnet, stimmt’s?« Ich schüttle in unverhohlenem Erstaunen über seine Anschauungen den Kopf.
»Nein, habe ich nicht«, gebe ich zu. John Blacklock würde zusammenzucken und sie absonderlich finden. »Und Ihre Mutter – was tut sie?«, frage ich.
»Meine Mutter … sie kümmert sich. Sie sorgt dafür, dass das Haus trotz seiner Schäbigkeit nicht auseinanderfällt.« Er zieht wieder eine Münze hervor und lässt sie in die Luft schnellen. »Kopf oder Zahl, Miss Trussel?«
»Kopf«, erwidere ich.
»Es ist Kopf!«
Ich lächele ihm zu. Wie gut es doch läuft, denke ich. Der Goldzahn in seinem Mund glitzert, als er mein Lächeln erwidert. Das Orchester beginnt zu spielen. Cornelius Soul bestellt Schinken, der von einem Jungen gebracht wird. Und dann, aus heiterem Himmel, wende ich aus irgendeinem Grund den Kopf und begegne dem Blick von Lettice Talbot. Sie ist genauso
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